Zum Inhalt springen

Fachkräftemangel in der Bildung

„Die Decke ist dünn“

Offene Professoren- und Dozentenstellen, wiederholte Ausschreibungen mangels ausreichend qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber: Der Fachkräftemangel macht auch vor den Hochschulen nicht halt, wie Beispiele aus Ostdeutschland zeigen.

Der Mangel an ausreichend wissenschaftlich qualifiziertem Personal ist besonders in den MINT-Fächern und in den Erziehungswissenschaften groß. (Foto: IMAGO/YAY Images)

Jörg Bagdahn, seit 2016 Präsident der Hochschule Anhalt mit Standorten in Bernburg, Dessau und Köthen, kennt das Dilemma des Fachkräftemangels aus dem täglichen Geschäft. „Wir bekommen immer mehr Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen“, sagt Bagdahn. „Die Hochschulen sind von der generellen Situation auf dem Arbeitsmarkt keineswegs ausgeschlossen.“ Dies gelte sowohl im nichtwissenschaftlichen wie im wissenschaftlichen Bereich – und besonders in der IT. „Bei den Ingenieur-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften haben wir eine überschaubare Bewerberlage und müssen offene Stellen teils mehrfach ausschreiben – obwohl wir eigentlich an der Personalquelle sitzen“, erzählt der Hochschulpräsident.

Mehr als 30 Jahre nach der Einheit sei der demografische Wandel, der im Osten viel stärker ausgeprägt ist als im Westen, besonders deutlich zu spüren: Während gegenwärtig sehr viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen, wachse eine Generation nach, die aus den geburtenschwachen Jahrgängen bestehe. „Die Decke ist dünn“, sagt der Professor für Werkstoffe der Photovoltaik, der seit dem 1. Dezember auch Sprecher der Gruppe HAW/Fachhochschulen der Hochschulrektorenkonferenz ist.

Lage an den HAW noch schwieriger

Noch schwieriger wird die Lage für die Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW), weil die Bewerberinnen und Bewerber drei Jahre Praxiserfahrung vorweisen müssen – und damit bessere Verdienstmöglichkeiten in der Wirtschaft kennengelernt haben. Durch die wachsende Industrie in Sachsen-Anhalt ist die Nachfrage nach Fachkräften in der Region mittlerweile groß. Nicht umsonst hätten Bund und Länder ein 430-Millionen-Euro-Paket zur Gewinnung von Professorinnen und Professoren an den Fachhochschulen und HAW aufgelegt, sagt Bagdahn. Von dem Bund-Länder-Programm profitieren 98 Hochschulen in allen 16 Bundesländern über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Probleme auch an Exzellenz-Unis

Der Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal sei in einigen Regionen Deutschlands besonders in den MINT-Fächern und den Erziehungswissenschaften zu beobachten, erklärt Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung. Betroffen seien zum einen strukturschwache Regionen besonders in Ostdeutschland und zum anderen Regionen mit einer starken Konkurrenz durch die Industrie wie in Bayern und Baden-Württemberg. Auch Exzellenz-Unis, die sehr schnell sehr viel Geld für viele Promotions- und Postdoc-Stellen bekommen, hätten häufig Mühe, diese qualifiziert zu besetzen.

„Die gut ausgebildeten Leute haben die Wahl und gucken sich genau an, wohin sie gehen“, sagt Keller. Im wachsenden Wettbewerb seien die unterfinanzierten Hochschulen mit geringeren Gehältern sowie befristeten Arbeits- und Projektverträgen als attraktive Arbeitgeber offenkundig nicht konkurrenzfähig. „Die Hochschulen“, fordert Keller, „brauchen mehr gut dotierte Dauerstellen ohne Befristung.“

„Die Kolleginnen und Kollegen berichten, dass es zunehmend problematischer wird, gute Köpfe für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.“ (Wolfgang Macheleidt)

Seit etwa fünf Jahren beobachtet auch Wolfgang Macheleidt, stellvertretender Vorsitzender des Personalrats an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden, den verschärften Kampf um qualifiziertes Personal. Mehrere gute Leute, darunter auch Laboringenieure, seien aus der Hochschule in die Wirtschaft gewechselt. Die freien Posten nachzubesetzen, werde immer schwieriger.

Macheleidt ist auch Vorsitzender des Hauptpersonalrats beim sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus. Er kennt die Hochschullandschaft im Freistaat. „Die Kolleginnen und Kollegen berichten, dass es zunehmend problematischer wird, gute Köpfe für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.“ Die Ergebnisse der nächsten Tarifrunde würden zeigen, ob die öffentlichen Arbeitgeber die Zeichen der Zeit erkannt hätten, meint Macheleidt.

Zudem müssten die Personalverwaltungen die Spielräume im Tarifvertrag für künftige Stellenbesetzungen besser nutzen. Wenn allerdings Zusagen an Bewerberinnen und Bewerber etwa für künftige Höhergruppierungen, die im Einstellungsgespräch gemacht worden sind, später nicht eingehalten würden, erweise man der Suche nach Fachkräften für die Hochschulen einen Bärendienst.