Zum Inhalt springen

Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit

„Die Solidarität tut gut“

Mitarbeitende eines Karlsruher Fanprojekts sind ins Visier der Justiz geraten. Sie hatten bei Ermittlungen gegen Fußballfans, die Pyrotechnik gezündet hatten, die Aussage verweigert. Sozialarbeiter Volker Körenzig ist einer der Beschuldigten.

Volker Körenzig, Diplom-Sozialarbeiter und Mitarbeiter beim Fanprojekt Karlsruhe (Foto: Christoph Ruf)

Volker Körenzig: Dass wir logistisch eingebunden gewesen seien und dass die Vorbereitungen für die Pyro-Aktion im Fanprojekt stattgefunden hätten.

  • Und das stimmt nicht?

Körenzig: Wir waren gar nicht vor Ort, und die Fans, die Pyrotechnik gezündet haben, waren nicht im Fanprojekt. Die haben da auch nichts deponiert.

  • Und der zweite Punkt?

Körenzig: Der ist das eigentliche Politikum: Strafvereitelung, weil wir unser Wissen nicht offenbaren und uns damit zum Mitwisser machen. Uns wird vorgeworfen, dass unsere Loyalität gegenüber der Klientel größer sei als die gegenüber dem Staat.

  • Aber genau dafür werden Sie doch bezahlt, oder? Dass Sie mit den Instrumenten der Sozialpädagogik auf die Fans einwirken. Wie soll das gehen ohne ein intaktes Vertrauensverhältnis?

Körenzig: So sehen wir das ja auch, und so sehen das auch alle Träger und Institutionen im Bereich der Sozialen Arbeit, die sich mit uns solidarisch erklärt haben. Natürlich auch, weil sie wissen, dass ihnen genau das Gleiche wie uns droht, so lange es in ihrem Bereich kein Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR) gibt. Die Logik der Karlsruher Staatsanwaltschaft ist allerdings eine andere: Hätten wir ein ZVR, würden sie nichts unternehmen. Wir haben aber keines, also sehen sie uns als Teil krimineller Strukturen.

Es fällt schon die ganze Zeit schwer zu erklären, dass wir keine Straftäter schützen – sondern die Soziale Arbeit und unseren Aufgabenbereich. (Volker Körenzig)

  • War keine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft möglich?

Körenzig: Wir haben über unsere Anwältin zu erklären versucht, was wir machen, was unser Rollenverständnis ist und warum wir uns nach §203 Strafgesetzbuch sogar strafbar machen, wenn wir Privatgeheimnisse weitergeben.

  • Das blieb aber erfolglos?

Körenzig: Die Staatsanwaltschaft hat argumentiert, dass in unserem Fall der Ermittlungserfolg über diesem Gesetz stehe. Es fällt schon die ganze Zeit schwer zu erklären, dass wir keine Straftäter schützen – sondern die Soziale Arbeit und unseren Aufgabenbereich. Wobei ich den Staatsanwalt aus seiner Sicht sogar verstehe. Subjektiv macht er nichts Falsches.

  • Wurde denn gewürdigt, dass Sie als Fanprojekt erfolgreich ein Vermittlungsgespräch mit den Opfern organisiert haben?

Körenzig: Leider nein. Dabei waren danach alle zufrieden. Die einen haben sich glaubhaft entschuldigt, die anderen haben das akzeptiert und vom Verein noch ein paar Fanartikel bekommen. Alle waren zufrieden.

  • Welche Folgen hat das Verfahren für Ihre Arbeit?

Körenzig: Leider schwerwiegende. Seither fahren wir nicht mehr mit den Ultra-Bussen mit, also mit unserer Zielgruppe. Sie wollen das nicht, um uns nicht noch mal in eine solche Situation zu bringen, sagen sie. Unsere ganze Arbeit hat sich seither verändert. Zumal es nicht ohne Folgen fürs Betriebsklima bleibt, wenn 7200 Euro Geldstrafe und Vorstrafen im Raum stehen.

Kürzlich bin ich einem Spaziergänger begegnet, der mich erkannte und mir sagte, er halte es für einen Skandal, dass ich noch frei herumlaufe. (Volker Körenzig)

  • Wobei man wissen muss, dass Fan-Sozialarbeiter in anderen Städten davon träumen, solche Zugänge in die Szene zu haben wie Sie.

Körenzig: Das Vertrauensverhältnis, das über Jahrzehnte gewachsen ist und das uns erst erlaubt, auf die Szene einzuwirken, ist nach wie vor intakt, aber wir halten Abstand, um uns wechselseitig zu schützen. Es ist schon schräg: Sonst begleiten wir Fans zu Vernehmungen, jetzt werden wir vernommen. Bis Oktober 2023 stand ja sogar Beugehaft im Raum. Wenn der Richter dem gefolgt wäre, säßen wir jetzt vielleicht mit Schwerkriminellen in einem Knast. Ich hatte im Oktober meine Koffer jedenfalls schon gepackt.

  • Der Fall hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt – und aufgerüttelt. So haben zehn renommierte Wissenschaftler als Erstunterzeichner eine Erklärung unterschrieben, wonach die Strafbefehle „eine gravierende Gefährdung der Arbeitsgrundlage Sozialer Arbeit“ darstellten.

Körenzig: Die Solidarität tut gut. Wobei das leider nicht aufwiegt, wie stark die Vorgänge ins Privatleben hineingreifen. Kürzlich bin ich einem Spaziergänger begegnet, der mich erkannte und mir sagte, er halte es für einen Skandal, dass ich noch frei herumlaufe.

  • Dabei besteht in den drei Ampel-Fraktionen Einigkeit, dass weit mehr Bereiche in der Sozialen Arbeit das ZVR brauchen.

Körenzig: Vielen Politikern ist das Problem völlig klar und es gibt ja auch einen Gesetzesentwurf. Ich hoffe sehr, dass er noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird.