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Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

"Entfristung statt Befrustung"

Die Wissenschaft ist in Aufruhr. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) macht im Bündnis mit Gewerkschaften gegen die Vorschläge des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Reform des WissZeitVG mobil.

Am Freitag (24.3.) fand vor dem Bundesforschungsministerium in Berlin eine Kundgebung gegen die BMBF-Eckpunkte für eine WissZeitVG-Reform statt. (Foto: Gareth Harmer)

Demoratschen surren, die Demonstrierenden strecken Schilder in die Luft: „Mehr Entfristung statt Befrustung“, „Schluss mit Vorlesungen bei Dr Prekär“. „Toll, dass Ihr alle da seid“, ruft die Frau der Bühne in den Berliner Nieselregen. „Über Statusgruppen hinweg gehen wir heute solidarisch auf die Straße, um gegen Kettenverträge und Fristwahnsinn in der Wissenschaft zu kämpfen. Das gab´s noch nie. Alleine sind wir ausgeliefert, zusammen können wir das System ändern.“ Brausender Applaus. Der Protest richtet sich gegen das Mitte März vorgelegte Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), das nach heftigem Widerstand auch von Professorinnen und Professoren nach nur 51 Stunden wieder zurückgezogen wurde.

„Die Befristung nach der Postdocphase sollte nur noch erlaubt sein, wenn es gleichzeitig eine Entfristungszusage für den Fall gibt, dass vereinbarte Ziele in Forschung und Entwicklung erreicht werden.“ (Andreas Keller)

Mit den Reformvorschlägen hatte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) das im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbarte Versprechen umgesetzt, die Arbeits- und Karrierebedingungen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verbessern.

Seit der Einführung des WissZeitVG 2007 gilt an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein weitreichendes Sonderarbeitsrecht, das Kurzzeit- und Kettenverträge zum Standard gemacht hat. Das sollte Innovation beflügeln, ist jedoch längst zum Selbstzweck geworden. „Etwa 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind befristet beschäftigt, fast die Hälfte davon nicht mal ein Jahr“, kritisiert Andreas Keller, Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung der GEW. Solche Arbeitsbedingungen seien eine Innovationsbremse, innovative Wissenschaft aber brauche Sicherheit: Dauerstellen für Daueraufgaben.

Keller: „Die Befristung nach der Postdocphase sollte daher nur noch erlaubt sein, wenn es gleichzeitig eine Entfristungszusage für den Fall gibt, dass vereinbarte Ziele in Forschung und Entwicklung erreicht werden.“

„Krasser Unsicherheitsfaktor“

Das Bewegung in die Wissenschaftslandschaft gekommen ist, ist am Freitag sichtbar. Mehr als 500 Menschen waren gekommen. Darunter viele junge Forschende, die sich fragen: Wie soll ich Zukunft und Karriere planen, eine Familie gründen, wenn „die Arbeit in der Wissenschaft so ein krasser Unsicherheitsfaktor ist mit null Perspektive jenseits der Professur?“, wie ein Philosophiedoktorand aus Leipzig sagt.

„Entweder ich kämpfe jetzt, damit sich etwas ändert, oder ich steige aus dem Beruf aus.“ (Barbara Orth)

Für Barbara Orth (NGAWiss, FU Berlin) war es daher keine Frage: „Entweder ich kämpfe jetzt, damit sich etwas ändert, oder ich steige aus dem Beruf aus.“ Am meisten empört sie die mangelnde Wertschätzung für top-qualifizierte Forschende wie sie, die als Sozialwissenschaftlerin mit einem Vollstipendium einen Abschluss in Oxford in der Tasche hat und nun promoviert. „Die Vorschläge verbinden das schlechteste aus allen Welten: Wer nach drei Jahren Postdoc keine unbefristete Stelle hat, fliegt raus“, so Orth. Doch da es jenseits der Professur solche Stellen an den Universitäten nicht gebe, heißt die Alternative: „Steil nach oben oder raus.“

„Es ist unerlässlich mehr entfristete, attraktive Stellen neben und unterhalb der Professur zu schaffen“, forderte Sabine Hark, Professorin für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin und Vertreterin der Initiative #ProfsfürHanna. Nur so könne Wissenschaft eine lebenslange Berufsperspektive bieten. Und es dürfe nicht sein, dass die Durchschnittsdauer für eine Promotion 5,7 Jahre betrage, aber 42 Prozent der Promovierenden Verträge von unter einem Jahr hätten. „Das behindert den Qualifikationsprozess“, so GEW-Experte Keller. „Sechs Jahre sollte daher die Regellaufzeit von Qualifizierungsverträgen sein.“

Was dabei genau unter Qualifizierung verstanden wird, gelte es klar zu definieren. Keller: „Die Hochschulen haben große Phantasie entwickelt, was sie unter Qualifizierung verstehen, denn nur dann dürfen sie befristen. Wir sagen: Nicht jedes Dazulernen ist eine Qualifizierung, sondern nur ein strukturierter Prozess mit einem formalen Abschluss, das heißt, die Promotion selbst.“

Warum bislang die Positionen der unterschiedlichen Gesprächspartner:innen zwar im BMBF durchaus in der Vorbereitung zur Eckpunktepapier gehört, aber letztlich nicht berücksichtigt wurden, ist unklar. Die entscheidenden Gespräche fänden möglicherweise woanders mit den Leitungen statt, vermutet GEW-Experte Keller. „Daher ist es so wichtig, dass wir nicht nur gute Argumente haben, sondern dass wir uns auch artikulieren und Druck erzeugen“, so Keller. Auf der Bühne rief er Richtung Bildungsministerium: „Frau Ministerin, hören Sie nicht auf die Hochschulbosse. Wir sind hier und wir sind viele, hören Sie uns?“ Für den 30. März hat das BMBF zur Gesprächsrunde geladen, Andreas Keller wird für die GEW mit dabei sein.