Schreiben des MBWWK vom 02.12.2014, Az.: 941 A/945 A - 52 209/35
Änderung der Landesverordnung über die höhere Berufsfachschule
Stellungnahme zum Entwurf der ersten Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über die höhere Berufsfachschule
Die GEW Rheinland-Pfalz nimmt zu dem o.g. LVO-Entwurf wie folgt Stellung:
I. Vorbemerkungen:
Der vorliegende Verordnungsentwurf ergibt sich u.a. aus der Empfehlung 10 der Expertengruppe zur strukturellen Weiterentwicklung der berufsbildenden Schulen: Anpassung des Bildungs- und Qualifizierungsangebotes in der höheren Berufsfachschule an die geänderten Nachfragestrukturen sowie die demografische Entwicklung. Schule und Schulaufsicht sollen ein bildungsökonomisches Handeln im Hinblick auf demografische Veränderungen, veränderte Nachfragestrukturen sowie die Aktualisierung der Ausbildungsprofile in der Region ermöglichen.
Auch wurden die Rahmenvereinbarungen über die Berufsfachschule und über die Ausbildung und Prüfung zum/zur staatlich geprüften technischen und kaufmännischen Assistent/in auf Bundesebene überarbeitet und zusammengeführt. Dies führt in der Landesverordnung für die höhere Berufsfachschule zu Anpassungen.
Die GEW begrüßt die Anpassungen zur Vereinheitlichung der Berufsbezeichnungen auf Bundesebene, die der Vergleichbarkeit und größeren Mobilität dienen, steht jedoch den vorgenommenen Veränderungen zu den verschiedenen Fachrichtungen kritisch gegenüber. Es wird befürchtet, dass es zu Schwierigkeiten bei der Einrichtung verschiedener Fachrichtungen (siehe unten) im Kontext zur Klassenbildung kommen kann. Hierbei wird eine sensible und pädagogisch großzügige Handhabung der Ausnahmeregelung seitens der Schulbehörden gefordert.
Die Einführung von Mindestnoten in verschiedenen Fächern für die verschiedenen Fachrichtungen ist weder pädagogisch noch berufsbezogen oder berufspraktisch nachvollziehbar. Zudem werden neue Bildungsbarrieren errichtet, die das Schulsystem weniger durchlässig machen und gerade benachteiligte Schülerinnen und Schüler in ihren Wahlmöglichkeiten weiter einschränken. Daher dürfte es besonders auch zu einer Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund kommen.
Gerade junge Frauen mit Migrationshintergrund könnten die negativen Konsequenzen der Veränderungen zu spüren bekommen, da diese, wie z. B. in der ganz überwiegend von Frauen besuchten höheren Berufsfachschule für Sozialassistenz, mit der Mindestnote in Deutsch zum Teil größere Schwierigkeiten bekommen würden.
Es wird hierbei vom MBWWK angegeben, dass durch die Mindestnoten die Abbrecherquoten gesenkt werden sollten, jedoch wechseln auch viele dieser Schülerinnen und Schüler während oder vor dem Abschluss der höheren Berufsfachschule in eine Ausbildung und haben somit die Zeit genutzt, um sich zu orientieren und berufsbezogen zu qualifizieren. Wir fordern daher zusätzliche Personalressourcen zur Förderung schwacher Schülerinnen und Schüler um so die Abbrecherquoten zu senken!
Selbst das MBWWK konstatiert, dass die Zahlen der Schülerinnen und Schüler in der höheren Berufsfachschule sich relativ stabil entwickelt haben, daher ergibt sich daraus kein entsprechender Rationalisierungsdruck. Auch stellen wir dem Argument des MBWWK, dass auf dem Ausbildungsstellenmarkt zunehmend mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt als nachgefragt werden, gegenüber, dass dies regional deutliche Unterschiede aufweist und zudem die Passung zwischen Angebot und Nachfrage nicht eins zu eins verrechnet werden darf. Bei der Aufnahme einer Ausbildung sind Eignung, Interesse, Talent, Umsetzbarkeit etc. wesentliche Aspekte, weshalb es nicht selten besser für die Jugendlichen sein kann, sich z. B. an einer höheren Berufsfachschule entsprechend weiter zu qualifizieren, um anschließend zusätzliche Optionen und auch mehr Sicherheit bezüglich des eigenen beruflichen Werdeganges zu erlangen.
Es ist nach unserem Kenntnisstand nach wie vor so, dass nicht genügend Ausbildungsplätze für alle Jugendliche zur Verfügung stehen, die einen solchen suchen, deshalb besteht nach wie vor die Notwendigkeit, diesen Jugendlichen einen weiteren Qualifizierungsweg über die höhere Berufsfachschule zu ermöglichen.
II. Zu den Bestimmungen im Einzelnen:
Zu § 3: Fachrichtungen und Dauer
Die GEW sieht es als kritisch an, dass das Fachrichtungsangebot von 20 auf 13 Fachrichtungen reduziert wird. Dies könnte zwar an sich einer besseren Übersichtlichkeit und einer verstärkten Schwerpunktbildung innerhalb einzelner Fachrichtungen nutzen, jedoch wird die Regelung in Absatz 2 als sehr problematisch gesehen, bei der explizit festgeschrieben wird, dass „ein oder mehrere Schwerpunkte nur eingerichtet werden dürfen, wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler im ersten Schuljahr die Einrichtung von zwei Parallelklassen in jedem Schwerpunkt gemäß den Bestimmungen über die Klassenbildung an berufsbildenden Schulen erlaubt. Über Ausnahmen in der Klassenbildung entscheidet die zuständige Schulbehörde.“ Hier sehen wir die Gefahr, dass besonders kleine Berufsbildende Schulen nur eine sehr geringe Anzahl an verschiedenen Fachrichtungen und Schwerpunkten der höheren Berufsfachschule anbieten können. Die Wahlmöglichkeit von Schülerinnen und Schülern wird somit eingeschränkt, wenn eine entsprechende Berufsbildende Schule mit ihrem gewünschten Schwerpunkt bzw. der gewünschten Fachrichtung sehr weit entfernt ist, da ggf. die umliegenden Berufsbildenden Schulen den entsprechend favorisierten Schwerpunkt bzw. die gewünschte Fachrichtung nicht anbieten können. Besonders für Schülerinnen und Schüler aus finanziell nicht gut gestellten Familien kann dies eine nicht zu überwindende Barriere darstellen.
Es ist nicht nachzuvollziehen, warum das Angebot der Schwerpunkte sich laut dem MBWWK nur an den personellen, sachlichen und räumlichen Gegebenheiten orientieren soll. Wie sieht es diesbezüglich mit dem Willen der Schülerinnen und Schüler, dem Elternwillen und dem Interesse der Arbeitgeberseite aus? Demnach sollte das Angebot an den höheren Berufsfachschulen vor allem bedarfsgerecht, d.h. der Nachfrage folgend, ausgestaltet sein!
Zu § 4: Aufnahmevoraussetzungen und § 11 Schriftliche und mündliche Prüfungen
Der Verordnungsentwurf sieht im § 4 Absatz 2 vor: Für die Aufnahme in die Fachrichtungen Automatisierungstechnik und Mechatronik, Biologie, Chemie, Energiesystemtechnik und Energiesystemmarketing sowie Informationstechnik muss […] im Fach Mathematik mindestens die Note "befriedigend“ vorliegen.
Der Verordnungsentwurf sieht im § 4 Absatz 3 vor: Für die Aufnahme in die Fachrichtungen Ernährung und Versorgung, Gestaltungstechnik sowie Sozialassistenz muss […] im Fach Deutsch mindestens die Note „befriedigend“ vorliegen.
Der Verordnungsentwurf sieht im § 4 Absatz 4 vor: Für die Aufnahme in die Fachrichtungen Betriebswirtschaft, Gastronomie, Logistikmanagement und Tourismusmanagement muss […] im Fach Englisch mindestens die Note „befriedigend“ vorliegen.
Die GEW gibt zu bedenken, dass die Entscheidungen, aus welchen Fächern die „Mindestnoten“ kommen, recht willkürlich bei einigen Fachrichtungen wirken. Entsprechende pädagogische Begründungen fehlen diesbezüglich:
Beispielsweise erscheint das Fach Deutsch für den Gastronomiebereich nicht weniger wichtig als das Fach Englisch und trotzdem ist hier die Englischnote entscheidend.
Besonders irritierend finden wir dies bei der Fachrichtung Gestaltungstechnik (Schwerpunkt Design und visuelle Kommunikation sowie Textil und Modedesign), bei der die Deutschnote zu Beginn Auswahlkriterium ist, aber bei der Abschlussprüfung (§ 11 (1) Ziff. 9.) die erste Fremdsprache geprüft wird. Warum findet hier die Prüfung nicht in dem Fach statt, welches für diese Fachrichtung als eine der Aufnahmevoraussetzungen vorgesehen ist?
Ganz allgemein können sich beispielsweise durch die Mindestnoten in den Fächern Deutsch und Englisch besonders negative Konsequenzen für die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ergeben.
Manche Lernende sind erst seit kurzer Zeit in Deutschland und haben daher ggf. eine schlechtere Note als „befriedigend“ in Deutsch. Auch wenn sie evtl. schon auf einem guten Weg im Fach Deutsch sind, so werden sie aber somit von einigen Bereichen von vornherein ausgeschlossen.
Ebenfalls kann es vorkommen, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund z. B. Französisch deutlich besser können als Englisch und wegen einer schlechten Englischnote nun beispielsweise nicht in die Fachrichtung Gastronomie können, obwohl gerade Französisch im Grenzgebiet zu Frankreich, Belgien und Luxemburg eine besondere Bedeutung für diese berufliche Perspektive hätte.
Eine Berücksichtigung des Gesamtnotendurchschnitts für die Aufnahme in die höhere Berufsfachschule wäre zumindest logischer nachzuvollziehen als die recht willkürliche Entscheidung für ein Fach mit einer Mindestnote als eine der Aufnahmevoraussetzungen.
Generell stehen wir jedoch jeder Koppelung von Aufnahmevoraussetzungen an Noten sehr kritisch gegenüber.
55116 Mainz