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Richtlinie zur Schullaufbahnberatung sowie Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung

Stellungnahme zum Entwurf der Richtlinie zur Schullaufbahnberatung sowie Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung

Schreiben des MBWWK vom 26.08.2015, Az.: 941 A – Tgb.Nr. 978/15

Die GEW Rheinland-Pfalz nimmt zu dem o.g. Richtlinien-Entwurf wie folgt Stellung:

 

I. Vorbemerkungen

 

Die GEW begrüßt den Entwurf der Neufassung der Richtlinie zur Schullaufbahnberatung sowie Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung, da hier der Versuch unternommen wird, dem seit 2011 rechtlich verankerten Beratungsauftrag aller weiterführenden Schulen mehr Verbindlichkeit zu geben. Nicht zuletzt zeigen die nach wie vor hohen Studienabbruchquoten (das endgültige Verlassen des Hochschulsystems ohne Abschluss liegt bei durchschnittlich knapp 30%) und auch die hohe Vertragslösungsquote bei den Ausbildungsverhältnissen (20-25%, davon geschätzt ca. 17% mit endgültigem Abbruch), dass mit der bisherigen Gesetzesgrundlage das Ziel einer effektiven Schullaufbahn- und Berufsberatung junger Menschen nicht erreicht wurde und hier Nachbesserungsbedarf bestand.

Die GEW weist allerdings auch darauf hin, dass die angestrebten Ziele einer besseren Berufs- und Studienorientierung für alle Schüler_innen – verstanden als Entwicklungsprozess im Rahmen der individuellen Förderung, in dem die Schüler_innen über ihre eigenen Potenziale sowie Interessen und mögliche Berufsperspektiven informiert werden – in einem gegliederten Schulsystem nur bedingt erreichbar sind. Der Zwang für Eltern und Kinder, bereits in der 4. Grundschulklasse eine Entscheidung über die zukünftige schulische und berufliche Entwicklung zu treffen, muss zu Fehlentwicklungen und Frustrationen führen. Angesichts der Unübersichtlichkeit der modernen Arbeitswelt sowie der Vielzahl der schulischen/ hochschulischen und betrieblich-dualen Ausbildungswege wählen Eltern für ihre Kinder im Zweifel den – für sie – klareren gymnasialen Weg zu Abitur und Studium, um ihren Kindern die aus ihrer Sicht bestmöglichen Startchancen zu bieten. Das Rekrutierungsverhalten der Betriebe, die z.B. verstärkt duale Studiengänge anbieten, die die Fach- oder allgemeine Hochschulreife voraussetzen, verstärkt diesen Trend.

Dabei spielt die gesellschaftliche Geringschätzung der betrieblich-beruflichen gegenüber der akademischen Qualifizierung nach wie vor eine entscheidende Rolle. Über die erhebliche Verbesserung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte in Rheinland-Pfalz, die außerhochschulischen Aufstiegsmöglichkeiten für dual qualifizierte Arbeitnehmer_innen oder die Angleichung der Einkommen zwischen Akademiker_innen und Nichtakademiker_innen in den Betrieben sind Lehrkräfte, Eltern und Schüler_innen häufig nur schlecht informiert.

 

II. Zu den Einzelbestimmungen

 

Zu 1. Grundsätze und Ziele

Im Punkt 1.1 sind hier als Zielgruppe der Beratung Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern aufgeführt, nicht aber wie in der Richtlinie von 2011 die „Sorgeberechtigten“. Um hier auch einen Beratungsanspruch für die gesetzlichen Vertreter_innen minderjähriger Schüler_innen zu garantieren, die nicht aus tradierten Familienstrukturen kommen, sollte in dem Richtlinientext der Begriff „Erziehungsberechtigte“ statt „Eltern“ gewählt werden.

Die unter Punkt 1.2 aufgenommene Veränderung, wonach künftig alle Fächer ihren Beitrag zur Schullaufbahnberatung, Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung leisten müssen, wird von der GEW begrüßt. Allerdings ist dann auch durch entsprechende Veränderungen in allen Lehrplänen sicherzustellen, dass die Aufgabe der Berufswahlvorbereitung als verpflichtendes Curriculum erscheint und die Vorgabe nicht zur reinen Absichtserklärung mutiert.

Der in der bisherigen Richtlinie unter Punkt 1.6 aufgeführte Satz, „Alle Beteiligten des Netzwerkes verstehen sich als aktiv Handelnde und sorgen für die konzeptionelle sowie organisatorische Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen“ sollte in der Neufassung nicht entfallen, sondern unter Punkt 1.4 als letzter Satz angefügt werden, um damit auch auf die Verpflichtung der Beteiligten zur Umsetzung hinzuweisen. Als weitere mögliche Netzwerkbeteiligte könnten hier auch die regionalen Schüler_innenvertretungen aufgenommen werden, denn letzten Endes können die Schülerinnen und Schüler selbst am besten ihre Vorstellungen und Bedürfnisse im Hinblick auf ihren Beratungsbedarf formulieren. Zumindest muss sichergestellt werden, dass im schulinternen Vorbereitungsprozess die Interessen und Bedürfnisse der zu beratenden Schüler_innen im Zentrum der Überlegungen stehen.

 

zu 2. Fortbildungsangebot

Zur Klarstellung des Auftrags des PL sollte die Formulierung „Das Pädagogische Landesinstitut unterstützt die verantwortlichen Lehrkräfte für die Schullaufbahnberatung…“ ergänzt werden um die Formulierung „…die verantwortlichen sowie die mit der Wahrnehmung der Beratungstätigkeit betrauten Lehrkräfte…“, damit klar wird, dass nicht nur die Koordinatorinnen und Koordinatoren  auf das Unterstützungsangebot des PL zurückgreifen können, sondern auch die die Beratungstätigkeit ausführenden Personen.

Wie bereits in unserer Stellungnahme vom Juni 2011 angemerkt, ist das Fortbildungsangebot für die verantwortlichen Lehrkräfte durch das Pädagogische Landesinstitut dann positiv zu bewerten, wenn die für die Beratungstätigkeit notwendigen personellen Ressourcen für das PL bereitgestellt und nicht dem Schulsystem durch Abordnungen entzogen werden. Allerdings wird die alleinige Zuständigkeit des PL für die Fortbildung in diesem Bereich nicht ausreichen, denn die Erarbeitung zukunftsfähiger Beratungskonzepte stellt eine äußerst komplexe und anspruchsvolle Aufgabe dar, die von einem Partner alleine nicht zu lösen ist. Hier ist auch die Mitarbeit der übrigen Netzwerkpartner_innen gefordert. Das PL – in Kooperation mit externen Partner_innen – kann eigentlich nur grundlegende Informationen zur Arbeitswelt liefern, welche die Lehrkräfte zur Umsetzung ihrer fächerspezifischen Lehrpläne brauchen. Darüber hinaus müssten für alle Lehrkräfte, denen von der Richtlinie besondere Verantwortung übertragen wird, Betriebspraktika angeboten werden, damit sie eine Vorstellung davon bekommen, welche Anforderungen die Arbeitswelt tatsächlich stellt und welche unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten und Strukturen im Beschäftigungssystem zu finden sind.

Angesichts der grundlegenden Bedeutung der Fortbildung für den Bildungsauftrag aller Schulen müssen diese Fortbildungsveranstaltungen zu Dienst am anderen Ort erklärt werden, damit die Lehrkräfte für die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen oder Betriebspraktika von ihren Schulleitungen freigestellt werden.

 

Zu 3.1 Koordinatorin oder Koordinator für die Schullaufbahnberatung, Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung

Durch die Einführung der Tage der Berufs- und Studienorientierung kommen neue Verpflichtungen auf die BO-Koordination an der Schule hinzu (siehe 3.3.4). Sie sind z.B. an den IGS darüber hinaus maßgeblich für die Organisation von Betriebspraktika, Elternabenden und Praktikumsausstellungen in der Sek I und II zuständig. Auch in sehr heterogenen Systemen wie der BBS beansprucht die Koordination mit den Beteiligten im Netzwerk viel Zeit. Eine Anerkennung in Form von nur einer Anrechnungsstunde wie bisher erscheint daher als nicht ausreichend.

 

Zu 3.2 Auftrag an die Schulen

Aus Sicht der GEW wäre es wünschenswert, wenn bei der Verpflichtung der Schulen, ein über mehrere Jahre angelegtes systematisches Konzept zu erstellen und umzusetzen, auch die Zusammenarbeit mit  den berufsbildenden Schulen explizit aufgeführt würde: “… das auch die Angebote der Agenturen für Arbeit, der Kammern, der Verbände, der Landesregierung, der berufsbildenden Schulen … einbezieht.“ (vgl. Satz 1). Auch bei den als Schwerpunktsetzungen festgelegten Mindeststandards der Maßnahmen der Schullaufbahnberatung und Berufsorientierung fehlt beim vierten Spiegelstrich neben der Kooperation mit der Wirtschaft auch die Benennung der berufsbildenden Schulen als Partner in der dualen Ausbildung. Bei dieser Kooperation mit externen Netzwerkbeteiligten ist aber grundsätzlich sicherzustellen, dass hier nicht der Versuch unternommen wird, den Auftrag einer objektiven Information den subjektiven Interessen eines Netzwerkpartners zu opfern.

 

Zu 3.3 Aufgaben und Schwerpunkte der Schullaufbahnberatung und der Berufswahlvorbereitung in der Sekundarstufe I sowie im Berufsvorbereitungsjahr, der Berufsfachschule I und der Berufsfachschule II

Bei der Ermittlung des bisherigen Übergangsverhaltens der Schülerinnen und Schüler soll bei Punkt 3.3.2.1 auch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze besonders berücksichtigt werden. Wie eine Schule allerdings zu diesen Daten gelangen soll, bleibt fraglich, denn statistisches Zahlenmaterial bezieht sich in der Regel nicht auf die individuelle Ausbildungssuche. Die Bundesagentur kann lediglich Daten zu den bei ihr gemeldeten Ausbildungsplätzen in der Region liefern.

Warum bei der Bedarfsermittlung und Festlegung konkreter Maßnahmen an den Einzelschulen das Kollegium, die Eltern, die Schülerinnen und Schüler und die Netzwerkbeteiligten nicht mehr einbezogen werden sollen (wie bisher in Punkt 3.2.2.3 festgelegt), bleibt unverständlich.

Bei der Angabe der Schwerpunkte der Beratung begrüßt die GEW die in Punkt 3.3.3.1 und Punkt 3.3.3.4 vorgenommene Verdeutlichung hin zu mehr Verbindlichkeit, indem das Verb „sollen“ durch „werden“ ersetzt wurde und damit sprachlich klargestellt wird, dass diese Angebote bzw. Maßnahmen nicht in das Belieben der jeweiligen Schule gestellt sind.

Die bei Punkt 3.3.4 eingeführten Tage der Berufs- und Studienorientierung sind ein guter Beitrag zur Information in der Sekundarstufe I, wenngleich aber die Formulierung In der Regel findet im zweiten Schulhalbjahr…“ zu der Annahme verleiten kann, dass diese Tage nicht stattzufinden bräuchten. Daher sollte hier sprachlich präzisiert werden: „In den Klassenstufen 8 oder 9 findet unter Einbeziehung der Netzwerkbeteiligten mindestens an einem Tag Berufs- und Studienorientierung statt, an dem gleichwertig über die duale Berufsausbildung und Studienmöglichkeiten informiert wird. Diese Tage der Berufs- und Studienorientierung finden in der Regel im zweiten Schulhalbjahr statt…“

Die Öffnung der Schulen für externe Expert_innen ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, allerdings stellt dieses Format erhebliche Anforderungen an eine verantwortbare konkrete Umsetzung. Abgesehen davon, dass Versuche der Lenkung von Schüler_innen verhindert werden müssen, ist für die Gestaltung dieser Tage ein didaktisch-methodisches Konzept auf der Grundlage von Qualitätsstandards erforderlich, mit dem diese Tage einen wichtigen Beitrag zum individuellen Berufs- und Studienorientierungsprozess der Schüler_innen leisten können. Massenveranstaltungen, in denen Schüler_innen ohne Rücksicht auf ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse und ihren Entwicklungsstand mit Informationen berieselt werden, wären kontraproduktiv.

Bei der Einladung außerschulischer Expert_innen sollte man auch ehemalige Schüler_innen der Schule einbeziehen, die authentische Einblicke in schulische, betriebliche bzw. hochschulische Berufsbiografien bieten können.

 

Zu 3.4 Aufgaben und Schwerpunkte der Berufswahlvorbereitung, Studienorientierung und Schullaufbahnberatung in den Berufsschulen sowie in Schularten und Schulformen, die zur fachgebundenen oder allgemeinen Hochschulreife führen

Der bisher enthaltene Hinweis, wo solche Abschlüsse erlangt werden können, sollte beibehalten werden, um damit im Gesetzestext auch zum Ausdruck zu bringen, dass eine Hochschulzugangsberechtigung auf vielen Wegen möglich ist. Allerdings müsste hier dann auch auf die Möglichkeit des Hochschulzugangs über die duale Ausbildung hingewiesen werden.

Die Notwendigkeit einer systematischen Berufsorientierung ist auch in der Sekundarstufe I der Gymnasien gegeben, die sich bisher eher als studienvorbereitend definieren, obwohl bei weitem nicht alle ihre Schüler_innen ein Studium anstreben, sondern viele ihre Startchancen auf dem dualen Ausbildungsmarkt verbessern wollen. Diese Notwendigkeit der Berufsorientierung besteht auch noch in der gymnasialen Oberstufe (Gymnasien, Integrierte Gesamtschulen, Berufliche Gymnasien, etc.), denn auch viele Abiturientinnen und Abiturienten durchlaufen eine duale Berufsausbildung, andererseits verlassen auch Schülerinnen und Schüler die gymnasiale Oberstufe wieder vorzeitig ohne Abitur. Vor allem für die zuletzt genannte Gruppe erscheint eine individuelle Beratung vor Ort dringend erforderlich, um lange „Ausbildungsirrwege“ zu vermeiden.

In Anbetracht dessen erscheint die unter Punkt 3.4.1.2 genannte Vorgabe von fünf Doppelstunden ab Jahrgangstufe 11 als nicht sinnvoll, da diese eine Größenordnung vorgibt, durch welche die Einführung eines durchgängigen Konzepts stark eingeschränkt wird. Außerdem fordern wir hier die Beratungsaufgabe nicht nur als Pflichtveranstaltung im Rahmen des Unterrichts der jeweiligen IGS- bzw. Gymnasial-Fachlehrkraft durchzuführen, sondern auch separate Veranstaltungen mit externen Expert_innen (z.B. BBS-Lehrkräfte, Ausbildungsberater_innen der Kammern etc.) anzubieten, zu denen auch die Eltern eingeladen werden. Für die im System Schule zu leistende zusätzliche Arbeit müssen natürlich auch die entsprechenden personellen Ressourcen bereitgestellt werden. 

Kontakt
Peter Blase-Geiger
Geschäftsführer GEW Rheinland-Pfalz
Adresse Martinsstr. 17
55116 Mainz
Telefon:  06131 28988-15