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Gesetz zur Stärkung der inklusiven Kompetenz und der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften

Stellungnahme zum Gesetzentwurf „Gesetz zur Stärkung der inklusiven Kompetenz und der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften“

Schreiben des MBWWK vom 15.04.2015, Az.: 9216 – Tgb.Nr. 1032/15

Die GEW Rheinland-Pfalz begrüßt grundsätzlich alle Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an Schulen, geht es dabei doch um die Sicherstellung grundlegender Menschenrechte. Die uneingeschränkte Teilhabe aller Schüler_innen an einem inklusiven Bildungssystem bedeutet für uns eine elementare Voraussetzung zur Schaffung von Bildungsgerechtigkeit.

Insofern steht die GEW dem Anliegen des Gesetzentwurfes positiv gegenüber, ist aber gleichzeitig ent­täuscht davon, dass der Entwurf dem von uns mitgetragenen Anliegen höchstens in Ansätzen gerecht wird.

Die GEW kritisiert den im Gesetzentwurf verwendeten engen Inklusionsbegriff, bei dem Inklusion durch­gängig auf Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen beschränkt bleibt. Wir halten es für unerlässlich, dass er durch den weiten Inklusionsbegriff im Sinne von Diversität und Schule der Vielfalt ersetzt wird, der in der gemeinsamen Empfehlung von HRK und KMK vom März 2015 zur „Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt“ verwendet wird. In dieser Empfehlung werden Schüler_innen mit Behinderung lediglich beispielhaft aufgezählt. Der verengte Inklusionsbegriff lässt die fatale Schlussfolgerung zu, dass das Gesetz zur Stärkung der inklusiven Kompetenz nur für die Schulen und Schularten von Relevanz ist, in denen Schüler_innen mit Behinderungen unterrichtet werden. Die Schule der Vielfalt, in der neben son­derpädagogischen Grundkenntnissen Kenntnisse über die Prinzipien der durchgängigen Sprachbildung, geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse, Armutslagen und Migrationsprozesse sowie interkulturelle Kompetenz erforderlich sind, ist jedoch der Regelfall an allen Schularten.

Unserer Vorstellung nach braucht inklusive Bildung eine inklusive Ausbildung aller Lehrer_innen. Die ad­ditive Ergänzung inklusionsrelevanter Aspekte in die bestehenden Ausbildungsstrukturen halten wir für völlig unzureichend. Um den heterogenen Bildungsvoraussetzungen aller Schüler_innen in einem inklusi­ven Bildungsangebot gerecht zu werden, bedarf es einer strukturellen Veränderung der bisherigen lehramtsbezogenen Ausbildung der Lehrer_innen im Sinne einer in der Empfehlung von HRK und KMK be­schriebenen inklusiven Gesamtkonzeption, zumindest jedoch durch Integration der inklusionsspezifi­schen Themen in die bildungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Module und Lehrveranstaltungen.

Dringend erforderlich und unverzichtbar sind erste Veränderungen in der bestehenden Ausbildungs­struktur. So muss Kooperations- und Teamfähigkeit bereits in der 1. Phase der Ausbildung in gemeinsa­men lehramtsübergreifenden Seminaren für alle Studierenden gelehrt und erprobt werden. Diagnostik und Beratungskompetenz sowie eine auf eine Schule der Vielfalt und heterogene Lerngruppen ausgerich­tete Didaktik der Fachdidaktiken müssen Bestandteil des fachwissenschaftlichen Studiums werden. Auch die Reflexion über Haltungen und Einstellungen gegenüber Vielfalt, wie sie die HRK- und KMK-Empfeh­lung vorsieht, ist in die Ausbildung mit aufzunehmen.

Für die zweite Ausbildungsphase erwartet die GEW eine verbindliche Implementierung inklusiver Bildungsinhalte in die Ausbildungsfächer der jeweiligen Schularten.

Prinzipiell begrüßt die GEW das Anliegen des Gesetzentwurfes, die drei Phasen der Lehrkräfteausbildung (Studium, Vorbereitungsdienst, Fort- und Weiterbildung) in den Blick zu nehmen und Standards zu definieren, die ein inklusives Unterrichten ermöglichen sollen. Allerdings kann dies nicht kostenneutral erfol­gen oder durch „Umschichtungen innerhalb des Systems“ (S. 13) erreicht werden.

Unter diesem politischen Diktat werten wir den Gesetzentwurf mit seinen eher kosmetischen Verände­rungen als bloße Absichtserklärung, die eben nicht zu einer „Stärkung der inklusiven Kompetenz“ an den Schulen führen wird. Das eigentliche Ziel kann damit nach unserer Auffassung nicht erreicht werden.

Zusätzliche Gelder müssen zur Verfügung gestellt werden für

  • die Erhöhung der Zahl der Fachberater_innen und Schulpsycholog_innen, damit in den Schulen Coaching-Teams entstehen können, die die Lehrkräfte bei der Inklusion tatsächlich unterstützen können (vgl. S. 6 des Anschreibens)
  • die Förderung der Zusammenarbeit mit schulischen und außerschulischen Partnern (§ 3)
  • die erhöhte Belastung der Schulleitungen (§ 8)
  • den erhöhten Fortbildungsbedarf der betroffenen Kolleg_innen
  • die bessere räumliche Ausstattung der Schwerpunktschulen (die zur Zeit häufig den Anforderungen nicht gerecht wird)
  • eine gute personelle Ausstattung der Schwerpunktschulen mit Förderschullehrkräften.   

Daneben weist der Gesetzentwurf zwei Tendenzen auf, gegen die sich die GEW nachdrücklich wendet:

  • Die fortlaufende Professionalisierung aller Lehrer_innen halten wir für unabdingbar, um den sich ständig verändernden Anforderungen in den Schulen gerecht werden zu können. Wir sehen den Dienstherrn in der Pflicht ausreichende Fortbildungsangebote vorzuhalten. Die Reduzierung der Fortbildungstage auf drei statt bisher fünf Arbeitstage pro Schuljahr lehnen wir deshalb strikt ab 
    (§ 11). Diese Tage sollen zukünftig in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden (§ 11); zudem soll die Schulleitung die Lehrkräfte zu bestimmten Fortbildungsmaßnahmen „verpflichten“ können (§ 9,1). Dies ist absolut inakzeptabel. Das Gesetz zeichnet das Bild einer einerseits fortbildungsunwilligen Lehrkraft, die andererseits nur deshalb Fortbildungen besucht, weil dann Unterricht ausfällt. Diesem Zerrbild widerspricht die GEW entschieden, es entspricht in keinster Weise der Wirklichkeit. Weiterhin steht die Rolle, die den Schulleitungen zukommen soll, eklatant im Widerspruch zur Kultur einer demokratischen Schule, wie sie in vielen Schulen gelebt wird. Die GEW hält verpflichtende Fortbildungen bei zentralen bildungspolitischen Reformen, die auf breiten gesellschaftlichen Veränderungsprozessen basieren, dann für sinnvoll, wenn die notwendigen Angebote und finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen und die Veranstaltungen in der Unterrichtszeit liegen.
  • Eltern und Schülerschaft werden in § 12 mehr Einfluss auf die Fortbildungsplanung eingeräumt, einerseits dadurch, dass zu den Grundsätzen ein Einvernehmen mit dem Schulausschuss einzuholen ist, andererseits durch die Benehmensherstellung des jeweiligen Fortbildungsplans durch den Schulelternbeirat. Diese Regelungen lassen sich als Misstrauen gegenüber der Professionalität der Lehrkräfte deuten. Im Rahmen der Gesamtkonferenz sind Eltern wie Schülervertretung beteiligt, eine weitere Einflussnahme auf die Fortbildungsplanung ist deshalb nicht notwendig.  

Die GEW hält ein Gesetzesvorhaben im Grundsatz für verfehlt, das auf der einen Seite die Lehrkräfte zunehmend belastet, ohne ihnen in irgendeiner Form Entlastungsmöglichkeiten zu bieten, und sie auf der anderen Seite einer zunehmenden Gängelung sowohl durch Schulleitungen als auch durch Elternschaft aussetzt.

Eine solche Vorgehensweise trägt eher zu einer Demotivation der Lehrkräfte bei, in den Augen der GEW ist dies kontraproduktiv.

Stattdessen erwarten wir eine Gesetzesänderung, die folgende Punkte berücksichtigt:

  1. verbindliche Module zum Themenkomplex Inklusion beim Lehramtsstudium in allen Lehrämtern
  2. Ermöglichung gemeinsamer lehramtsübergreifender Inklusions-Module für die Studierenden aller Lehrämter an den Universitäten, zumindest im Rahmen eines Modellversuches, z.B. an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau
  3. orientierende Praktika an Schwerpunktschulen, jedoch nicht ersetzend, sondern zusätzlich als drittes Orientierendes Praktikum
  4. qualifizierte und qualifizierende Begleitung der Orientierenden Praktika durch die Universitäten (nicht nur theoretisch, sondern praktisch)
  5. Erhöhung der Anrechnungspauschalen, Wiedereinführung der Anrechnungspauschale an Grund-schulen
  6. Entwicklung spezifischer Konzepte zum inklusiven Unterricht an den Berufsbildenden Schulen mit entsprechender Qualifizierung der Lehrkräfte und Bereitstellung der erforderlichen Unterstützungs-maßnahmen
  7. weiterer Ausbau der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
  8. Sicherstellung der aus unserer Sicht notwendigen kontinuierlichen Begleitung für die von uns begrüßte Einführung der Berufseinstiegsphase
  9. Bereitschaft, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen   


Kontakt
Peter Blase-Geiger
Geschäftsführer GEW Rheinland-Pfalz
Adresse Martinsstr. 17
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Telefon:  06131 28988-15