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Die Abiturnoten in Rheinland-Pfalz: Was sich hinter den Zahlen verbirgt

Positionierung der Landesfachgruppe IGS zur Pressemitteilung des Philologenverbandes

Foto: GEW-Bildarchiv

In der Pressemitteilung vom 05.07.2024 veröffentlichte der Philologenverband durchschnittliche Abiturergebnisse von Schüler:innen in Rheinland-Pfalz, welche aufgrund einer kleinen Anfrage der CDU vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium herausgegeben wurden. Diesen Zahlen zufolge schnitten Schüler:innen an G9-Gymnasien in den zentralen Abiturteilen der Fächer Mathematik und Englisch in den letzten Jahren besser ab als Schüler:innen an Integrierten Gesamtschulen. Daraus schließt der Philologenverband, dass gesellschaftliche Forderungen nach längerem gemeinsamem Lernen von Kindern und Jugendlichen nicht sinnvoll bzw. wünschenswert seien, schließlich zeige dieser Vergleich eindeutig die leistungsmäßige Überlegenheit der Gymnasien.

Die GEW lehnt diese Auslegung der reinen Zahlenwerte und die daraus resultierende Schlussfolgerung des Philologenverbandes ganz klar ab, unterscheiden sich doch beide Schulformen wesentlich in der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft und in den Grundprinzipien des pädagogischen Handelns. Dementsprechend lassen sich die Abiturnoten nicht so einfach vergleichen, wie der Philologenverband es darstellt. Daher folgt an dieser Stelle eine kurze Erläuterung der Unterschiede und Umstände, die sich hinter den statistischen Zahlen verbergen: 

HETEROGENITÄT DER SCHÜLERSCHAFT

Die Schülerschaft an Integrierten Gesamtschulen ist wesentlich heterogener als die an Gymnasien - sowohl in der Sekundarstufe I als auch in der Oberstufe. Denn in der 11. Jahrgangsstufe kommen nicht nur die Schüler:innen der jeweiligen IGS zusammen, sondern auch zahlreiche Schüler:innen aus anderen Schulen und Schulformen, welche die Übergangskriterien für die MSS erfüllen. Für viele ist es notwendig, erst einmal die gymnasialen Arbeitsformen und Anforderungen zu lernen und einzuüben. Zudem müssen sie sich an neue Mitschüler:innen, neue Lehrkräfte und an eine neue Struktur gewöhnen. Dieser Prozess braucht erfahrungsgemäß Zeit und diese Zeit fehlt manchen Schüler:innen am Ende ihrer Oberstufenkarriere, um im Abitur noch einmal mehr aus sich herauszuholen zu können. Dieser Umstand macht sich mit Sicherheit in den Abiturnoten bemerkbar, wird aber nicht durch die statistischen Zahlen abgebildet.

CHANCENGLEICHHEIT STATT LEISTUNGSDRUCK

Während sich der Philologenverband in seinen Ausführungen ausschließlich auf die Leistungen der Schüler:innen konzentriert, hat dieser Wettbewerbsgedanke an Integrierten Gesamtschulen nicht die oberste Priorität. Vielmehr geht es hier um den Menschen an sich, um den wertschätzenden und solidarischen Umgang miteinander sowie um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und unterschiedlicher Herkunft kommen ab der 5. Jahrgangsstufe zusammen und bilden die Vielfalt unserer Gesellschaft in all ihren Facetten ab. Der sozio-ökonomische Hintergrund des Elternhauses soll jedoch nicht über den Lernerfolg entscheiden und über die damit verbundenen weiteren Chancen im Leben. Insbesondere das gemeinsame Lernen lässt den Schüler:innen mehr Zeit, sich ohne Leistungsdruck zu entwickeln, trotzdem werden sie je nach Begabung individuell gefördert und gefordert. Dank dieses besonderen Konzeptes schaffen einige Schüler:innen den Übergang in die Oberstufe, die am Gymnasium eventuell gescheitert wären. Dieser Umstand wird leider ebenso wenig durch die statistischen Zahlen abgebildet.

DEMOKRATIE LERNEN 

Das gemeinsame Lernen, welches vom Philologenverband ausdrücklich infrage gestellt wird, vermittelt überdies wichtige demokratische Grundlagen, welche die Schüler:innen für eine wirkliche Teilhabe an unserer Gesellschaft benötigen. Besonders im Klassenrat und Schülerparlament lernen sie ihre Meinung zu vertreten, aber auch andere Meinungen zuzulassen, Argumente auf ihre Wahrhaftigkeit zu prüfen und Kompromisse zu finden. Auf diese Weise gestalten sie das Leben in der Schulgemeinschaft aktiv mit, was gleichzeitig zu einer größeren Zufriedenheit im Schulalltag führt. Gerade in Zeiten des zunehmenden politischen Extremismus sind demokratische Kompetenzen für unsere Gesellschaft von unschätzbarem Wert - auch wenn sich diese nicht in statistischen Zahlen abbilden lassen.

FAZIT UND AUSBLICK

Beleuchtet man also die Hintergründe der Abiturnoten genauer, zeigt sich deutlich der logische Fehlschluss des Philologenverbandes, denn dieser vergleicht sprichwörtlich Äpfel mit Birnen. 

Als Fachgruppe IGS in der GEW lehnen wir es ab, die verschiedenen Schulformen gegeneinander auszuspielen. Die Kolleg:innen an den IGS und an den Gymnasien leisten wertvolle Arbeit. Ihnen ist es zu verdanken, dass ihre Schüler:innen tolle Leistungen erzielen können, trotz der zunehmenden Herausforderungen im Schulalltag. Und dafür gebührt ihnen die volle Anerkennung. An allen Schulformen wünschen sich die Kolleg:innen mehr Zeit, eine bessere Ausstattung und mehr personelle Unterstützung, um den Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden – und um somit selbst wieder mehr Zufriedenheit im Arbeitsalltag erfahren zu können.

Wenn auch Du Dich als Lehrkraft in diesen Anliegen wiedererkennst und Dir Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit sowie der Ausbau eines demokratischen Bildungswesens am Herzen liegen, dann findest Du in der GEW mit Sicherheit die passende Mitstreiterin.

Kontakt
Christiane Herz
Vorsitzende GEW Rheinland-Pfalz
Mobil:  01575 5092890