Inklusion in Rheinland-Pfalz
Kleine Schritte in Richtung einer wirklich inklusiven Schule
Gemeinsame Stellungnahme des Vereins „EINE Schule für ALLE – länger gemeinsam lernen e.V. RLP“ und der GEW Rheinland-Pfalz zur Petition des LEB und des PhV gegen die neuen Schulordnungen InSchO und FöSchO
Mit Entsetzen haben wir die Petition aufgenommen, welche der Landeselternbeirat RLP (LEB) in Kooperation mit dem Philologenverband RLP (PhV) erstellt hat.
Auch wir haben Eingaben gemacht, die nur teilweise oder gar nicht berücksichtigt wurden, ebenso wie vermutlich sehr viele Vertretungen unterschiedlichster Interessen und Hintergründe. Dennoch halten wir die mehr und mehr zu beobachtende Tendenz, dass sich Gruppierungen und Institutionen mit sehr unterschiedlichen Interessenlagen zusammenschließen, da es sie vereint, gegen etwas zu sein, für fatal und gefährlich. Es kann nicht im Sinne demokratischer Prozesse sein, jede noch so kleine Veränderung im Keim ersticken zu wollen und sich auf das zurückzuziehen, was man nicht will, anstatt aktiv dafür zu kämpfen, was man will.
Im Mitte Juli 2024 (EIP landesweit 17.07.24) von Herrn Schladweiler im Namen des LEB verbreiteten Schreiben ist lediglich benannt, dass das Inkrafttreten der Schulordnungen gestoppt werden soll. Weder ist benannt, was dann geschehen soll, noch gegen welche Punkte genau sich der Protest richtet.
Festzuhalten gilt, dass in den Schulordnungen nahezu ausschließlich aufgeschrieben wurde, was bereits über viele Jahre hinweg gängige Praxis war und ist. Im Jahr 2001 gingen in Rheinland-Pfalz die ersten Schwerpunktschulen an den Start und seit 2014 ist Inklusion im Schulgesetz verankert. Eine Schulordnung, welche Abläufe regelt, blieb jedoch aus. Dies führte in der Praxis zu viel Verunsicherung und auch zu zahlreichen Missverständnissen – musste man sich doch die jeweiligen Regelungen oft mühsam auf dem Bildungsserver zusammensuchen. Nun sind sie durch die „Schulordnung für den inklusiven Unterricht an öffentlichen Schulen“ (InSchO) endlich in einem Dokument zusammengefasst. Gleichzeitig in Kraft tritt die „Schulordnung für die öffentlichen Förderschulen“ (FöSchO), welche die längst veraltete „Schulordnung für die öffentlichen Sonderschulen“ ablöst. Dass hier eine Förderschulordnung modernisiert wird und nicht etwa das Schulsystem, zeigt, wie weit entfernt Rheinland-Pfalz von wirklicher Veränderung ist. Es besteht also kein Grund zur Panik für nicht an Veränderung Interessierte.
Wenn wir uns die bisherige Stellungnahme des LEB zu den neuen Schulordnungen anschauen, verwundert uns die massive aktuelle Ablehnung sehr.
Die Kritik des LEB vom 14.12.23 benennt in erster Linie den Fakt mangelnder personeller Ausstattung, u.a. auch bezogen auf eine umfassende psychosoziale Unterstützung im schulischen Umfeld. Diesen Forderungen können wir uns insgesamt gesehen nur anschließen. Selbstverständlich helfen personelle und finanzielle Ressourcen sehr, die Praxis immer mehr hin zu echter Inklusion zu verbessern. Jedoch muss man an dieser Stelle auch festhalten, dass derartige Festlegungen niemals Bestandteil von Schulordnungen sind, sondern letztere lediglich Abläufe regeln. Dies bedeutet natürlich keinesfalls, dass wir uns nicht weiterhin auf anderer Ebene auch und gerade für die Ressourcenfrage stark machen müssen.
Der LEB fordert darüber hinaus, dass Englischunterricht an allen Förderschulen verpflichtend sein solle. Diesem Wunsch wurde durch die Schulordnungen, mit Ausnahme des Förderschwerpunkts „ganzheitliche Entwicklung“, in dem es auch weiterhin um eine geradezu kompromisslose individuelle Passung von Schülerin oder Schüler und dem Lernangebot gehen muss, Rechnung getragen.
Schließlich wurde gefordert, dass Schülerinnen und Schüler an Förderschulen (gemeint sind hier vermutlich ausschließlich Schulen mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“) auch weiterhin „den vereinfachten und auch den qualifizierten Berufsreifeabschluss ablegen“ können. Hier wurde dem Protest u.a. des LEB insofern Rechnung getragen, als dass an den Schulen, an denen dies auch bisher möglich war, noch bis zum Jahr 2031 wie bisher der Abschluss der qualifizierten Berufsreife erfolgen kann.
Herr Schladweiler zitiert in seiner Mail einige Einträge in der Petition. Diese beziehen sich in der Regel auf eine allgemeine Kritik am bestehenden Schulsystem, der wir uns gerne anschließen, die aber durch die neuen Schulordnungen weder verursacht noch behoben werden. In einem Eintrag wird die InSchO als Verstoß gegen das Grundgesetz (Gleichheitsprinzip) bezeichnet. Wir vermuten, dass sich dies vor allem auf die Förderschulordnung bezieht, in welcher die Benotung abgeschafft wurde. Dies hat auch Auswirkungen auf Schwerpunktschulen, wenngleich hier differenzierte Noten auch bisher erst ab Ende der achten Klasse erteilt wurden. Hintergrund ist die Regelung, dass Noten sich auf den zielgleichen (d.h. abschlussbezogenen) Unterricht beziehen und damit einen Vergleich zur Bezugsgruppe herstellen sollen, während individuelle Lernzuwächse künftig durchweg verbal dargestellt werden sollen. Hier müssen wir hervorheben, dass wir aus einer allgemeinen Notenkritik heraus dieses Instrument ohnehin für keine geeignete „Lernhilfe“ halten und in der Praxis eher beobachten, dass individuelle Noten (und diese sind im zieldifferenten Unterricht erforderlich) oft mehr zu Missverständnissen als zu Klarheit beitragen.
Zusammenfassend möchten wir darlegen, dass wir trotz Unzufriedenheiten sehr begrüßen, dass sich das Land endlich zur Inkraftsetzung von Schulordnungen entschließen konnte, welche Abläufe transparent und verbindlich festhalten. Wir bitten alle, sich dem allgemeinen Trend des „Dagegen-Seins“ nicht anzuschließen und die Petition nicht zu unterschreiben. Wir verstehen, dass unterschiedliche Gerüchte und auch Missverständnisse aktuell zu Verunsicherung führen und Ängste schüren und bieten daher an, sich an uns zu wenden und mit uns in ein konstruktives Gespräch einzutreten, so dass wir uns in einem gemeinsamen „Für-Etwas-Sein“ für ein besseres Schulsystem stark machen können. Die InSchO geht nur sehr kleine Schritte in Richtung einer wirklich inklusiven Schule. Anstatt selbst diese geringen neuen Öffnungswinkel „auszusetzen“, sollten wir diese neuen Möglichkeiten nun schulisch mit Leben füllen und weiter die großen Schritte einfordern!