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Dringender Handlungsbedarf für die Inklusion:

Inklusion braucht Qualität – Schwerpunktschulen brauchen mehr Fachpersonal, mehr Unterstützung und Zeit zur Unterrichtsentwicklung – das kostet Geld Der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, der dieses Jahr sein 25-jähriges Jubiläum hat, ist für die GEW Rheinland-Pfalz Anlass die schulische Inklusion in unserem Land kritisch in den Blick zu nehmen.

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der schulischen Inklusion verpflichtet. Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf einen Platz an einer allgemeinen Schule. Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht das, was momentan aufgrund der Rahmenbedingungen in den Schwerpunktschulen möglich ist. Der Anspruch an inklusive Bildung ist mit den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln des Landes nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Die GEW kritisiert, dass von der Schuldenbremse und der massiven Finanzknappheit im Bildungsbereich auch die rheinland-pfälzischen Schwerpunktschulen stark betroffen sind. „Inklusion geht nicht zum Nulltarif“, stellt Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender der GEW Rheinland-Pfalz fest. „Guter inklusiver Unterricht braucht gesicherte Rahmenbedingungen. Die Schwerpunktschulen müssen deutlich besser ausgestattet und konzeptionell weiter entwickelt werden, und vor allem brauchen sie das notwendige pädagogische Fachpersonal.“

„Das Land hat Schwerpunktschulen eingerichtet mit dem Auftrag, Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in der allgemeinen Schule ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend zu unterstützen und zu fördern“, bemängelt Sylvia Sund, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende und selbst Förderschullehrerin. „Damit erfolgreicher Unterricht mit heterogenen Lerngruppen gelingen kann, sind die Arbeitsbedingungen an den Schulen so zu verändern, dass die Inklusion für alle Lernenden und Lehrenden umsetzbar ist.“ Zunächst müssen die Kolleginnen und Kollegen dieser Schulen fachlich vorbereitet und unterstützt werden. Dafür stehen Beraterinnen und Berater für Inklusion des Pädagogischen Landesinstituts lediglich auf Anfrage zur Verfügung. Deren knappes Stellenvolumen wurde entgegen dem kontinuierlichen Ausbau der Schwerpunktschulen seit Jahren nicht wesentlich erhöht.

Aufgabe der multiprofessionellen Teams, bestehend aus den verschiedenen pädagogischen Professionen, an den Schulen ist die Entwicklung von inklusiven Unterrichtskonzepten und die Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts. Individuelle Förderung und individuelle Leistungsrückmeldung erfordert im hohen Maße die Kooperation der Unterrichtenden.

Schulen, die sich auf den Weg zur Inklusion gemacht haben und deren Kolleginnen und Kollegen ihre neuen Aufgaben engagiert angehen, beklagen in zunehmendem Maße die mangelnden zeitlichen und personellen Ressourcen, um allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden zu können und ihre Bildungsmöglichkeiten tatsächlich ausschöpfen zu können.

Die zusätzlichen Aufgaben benötigen erhebliche zusätzliche Zeit. „Kooperations- und Teamzeiten müssen als Arbeitszeit anerkannt werden. Die Unterrichtverpflichtungen der Lehrkräfte sind entsprechend anzupassen“, erläutert Sylvia Sund die Forderungen der GEW. Auch für die weiteren besonderen schulischen Aufgaben und regionalen Besonderheiten müsse den Schulen ein Pool von Anrechnungsstunden zur Verfügung gestellt wird. Da die inklusive Weiterentwicklung der Schulen ohne Fortbildungen der Lehrkräfte nicht machbar sei, müsse den Schulen mehr Ressourcen für Fortbildung gewährt werden.

„Die Zuweisung der Stunden von Förderschullehrkräften und Pädagogischen Fachkräften an Schwerpunktschulen, die für das Unterrichten im Team unerlässlich sind, wurde vom Bildungsministerium in den letzten Jahren mehrfach durch eine Veränderung im Berechnungsverfahren gekürzt. Für Schülerinnen und Schüler mit schwereren Behinderungen werden grundsätzlich keine zusätzlichen Förderstunden bewilligt. Das bringt die Kolleginnen und Kollegen an vielen Schulen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, fördert Frustration und beeinträchtigt die Arbeitszufriedenheit. Wir erwarten vom Bildungsministerium, dass diese Probleme angenommen, Gelingensbedingungen erarbeitet und notwendige Verbesserungen im Sinne der 'angemessenen Vorkehrungen' gemäß UN-Behindertenrechtskonvention vorgenommen werden“, führt Sylvia Sund weiter aus.

Inklusion darf nicht auf Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen verengt werden, sondern schließt alle Schülerinnen und Schüler in ihrer Vielfalt ein. Neben den Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen bzw. mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist davon auszugehen, dass ein sehr hoher Anteil der Schülerinnen und Schüler in allgemeinen Schulen risikobelastet ist und an den Mindestanforderungen von Schule zu scheitern droht.

„Für die sogenannten Risikogruppen ist in der Vergangenheit zu wenig getan worden, so dass die enge Kopplung von Schulerfolg und sozialer Herkunft bisher nicht aufgelöst werden konnte“, ergänzt Klaus-Peter Hammer. „Es fehlt an tragfähigen Konzepten, um die Defizite, die Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern mitbringen, zu überwinden. Diese Schülerinnen und Schüler konzentrieren sich häufig in bestimmten Stadtvierteln und deren Schulen und in besonderem Maße in den neu geschaffenen Realschulen plus. Betroffene Schulen brauchen deutlich mehr personelle Ressourcen und eine nachhaltige Unterstützung bei der Konzeptentwicklung.“

„Inklusion ist ein Prinzip und darf nicht additiv als zusätzliche Aufgabe verstanden werden“, so Sund weiter. „Aus dem Nebeneinander muss sich ein Miteinander entwickeln, sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden. Nur so ist der gesellschaftliche Auftrag der Inklusion umsetzbar. Doch die Realität an den Schulen ist eine andere. Die Personalzuweisung ist viel zu knapp bemessen und viele Stellen können nicht mit den dringend benötigten ausgebildeten Förderschullehrkräften besetzt werden, weil seit Jahren gravierender Förderschullehrkräftemangel herrscht. Wir fordern von der Landesregierung die notwendigen Maßnahmen, damit der Beruf der Förderschullehrerin –bzw. des Förderschullehrers wieder attraktiv ist.“

Da Förderschullehrkräfte fehlen, müssen immer mehr Schülerinnen und Schüler mit hohem sonderpädagogischen Förderbedarf, die eine intensive Betreuung benötigen, von Integrationskräften pädagogisch unterstützt werden, was nicht deren Aufgabe ist. Förderlehrkräfte werden auch häufig zu Vertretungsunterricht eingesetzt und können so ihren speziellen Auftrag, die besondere Förderung von Schülerinnen und Schülern nicht erfüllen. Aufgrund der personellen Notlage werden an den Schulen auch außendifferenzierte Gruppen gebildet. Das bedeutet, beeinträchtigte Schülerinnen und Schüler werden nicht im Klassenverband unterrichtet, sondern wieder aus der Klasse genommen und in einer anderen Gruppe zusammengefasst. So kann Inklusion nicht erreicht werden!

„In Rheinland-Pfalz unterrichten engagierte Lehrkräfte seit vielen Jahren Schülerinnen und Schüler gemeinsam im inklusiven Unterricht. Für viele Kolleginnen und Kollegen in der GEW Rheinland-Pfalz ist inklusiver Unterricht nichts Neues, sie gehen seit Jahren mit gutem Beispiel voran. Durch die angespannte Finanzlage wird ihre Arbeit jedoch massiv erschwert, die unzureichende Unterrichtsversorgung und das an vielen Schulen fehlende Fachpersonal führen zu Unzufriedenheit und zu Überlastungen bis hin zu Burn-out. Hier darf nicht weiter zu Lasten der Betroffenen gespart werden“, so Klaus-Peter Hammer abschließend. „Weder zu Lasten der beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler, noch zu Lasten derer, die die UN-Konvention im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit umsetzen.“

Hintergrund:
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention und dem rheinland-pfälzischen Schulgesetz haben Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf das gesetzlich verbriefte Recht auf gemeinsamen Unterricht in einer allgemeinen Schule. Die Eltern haben deshalb das Wahlrecht zwischen Förderschule oder inklusivem Unterricht in einer allgemeinen Schule. Dazu hat Rheinland-Pfalz das Konzept der Schwerpunktschulen geschaffen. Schwerpunktschulen sind allgemeine Schulen, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen und deshalb Förderschullehrerinnen bzw. Förderschullehrer und Pädagogische Fachkräfte zusätzlich zum Kollegium erhalten, um gemeinsamen Unterricht aller Kinder umzusetzen. Entsprechend der Nachfrage der Eltern wird das Netz der Schwerpunktschulen kontinuierlich ausgebaut. Derzeit gibt es in Rheinland-Pfalz neben den 131 Förderschulen 169 Schwerpunkt-Grundschulen und 120 Schwerpunktschulen im Bereich der Sekundarstufe I. Im Bereich der Sekundarstufe I übernehmen diese Aufgabe 74 Realschulen plus, 44 Integrierte Gesamtschulen und 2 Freie Waldorfschulen.