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Kommentar

Zu viele weiße Flecken

Mitbestimmungsstandards in Deutschland stehen unter Druck – durch die Globalisierung, durch skrupellos agierende Großkonzerne, weltweit, in der Europäischen Union, in der BRD.

Daniel Merbitz, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes, Ar
Daniel Merbitz, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes, Arbeitsbereich Tarif- und Beamtenpolitik (Foto: GEW)

Als Ergebnis der Novemberrevolution 1918/19 und auf Druck der Arbeiterbewegung hat die Nationalversammlung in Weimar im Jahr 1920 das Betriebsrätegesetz verabschiedet. Viele heutige Mitbestimmungsnormen beziehen sich auf dieses Gesetz der Weimarer Republik und haben es weiterentwickelt: Seit 70 Jahren gibt es das Betriebsverfassungsgesetz in der BRD, dazu das Bundespersonalvertretungsgesetz und die Personalvertretungsgesetze der Länder sowie im kirchlichen Bereich die Mitarbeitervertretungen (MAV), die allerdings nur eingeschränkte Rechte haben. Die Montanmitbestimmung aus dem Jahr 1951 regelt eine paritätische Beteiligung der Beschäftigten im Aufsichtsrat in Unternehmen des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie. Dazu kommen das Drittelbeteiligungs- und das Mitbestimmungsgesetz.

Der heutige ökonomische Wohlstand dieses Landes ist ohne Mitbestimmung nicht denkbar.

Wir haben also einen umfangreichen Instrumentenkasten für die Mitbestimmung in den Betrieben und Einrichtungen. Viele Fragen des Arbeitslebens können die Leitungsebenen nicht ohne die Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten entscheiden. Von Versetzung über Abordnung, von Dienstplänen und Verteilung der Arbeitszeit bis hin zu Kündigungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Dies sorgte und sorgt für ein System der Konfliktbewältigung und sichert den Betriebsfrieden und das Miteinander. Der heutige ökonomische Wohlstand dieses Landes ist ohne Mitbestimmung nicht denkbar. Im weltweiten Vergleich sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der BRD sehr umfangreich.

Aber darauf sollten wir uns nicht ausruhen. Es gibt gravierende Defizite. So fordert die GEW regelmäßig eine umfassende Mitbestimmung in allen Fragen des Dienstalltags in den Personalvertretungsgesetzen der Länder und des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie kritisiert, dass das Letztentscheidungsrecht der Einigungsstellen durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts einkassiert worden ist. Im Geltungsbereich von Mitbestimmungsregelungen gibt es zu viele weiße Flecken. So fehlt es beispielsweise auch an einer Interessenvertretung für Honorarkräfte.

Rechte der Personalvertretungen erweitern

Deshalb brauchen wir eine Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes und der Personalvertretungsgesetze. Mitbestimmungsrechte müssen an aktuelle Herausforderungen angepasst werden. Auch bei traditionellen Themen wie Arbeitszeiterfassung, Personalbemessung und Weiterbildung müssen die Rechte der Personalvertretungen erweitert werden, damit diese die Interessen der Beschäftigten auch in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt weiterhin wirkungsvoll vertreten können.

Mitbestimmungsstandards in Deutschland stehen unter Druck – durch die Globalisierung, durch skrupellos agierende Großkonzerne, weltweit, in der Europäischen Union, in der BRD. In der Wirtschaft ist eine effektive Mitbestimmung besonders als Gegengewicht zu kurzfristigen Investoreninteressen sowie bei der Umwandlung und Fusion von Unternehmen wichtig. Bösartige Beispiele, bei denen sich Finanzhaie einen Dreck um Mitbestimmung und Beschäftigteninteressen scheren, kennen wir zur Genüge.

Die Mitbestimmung hat mehr Feinde als Freunde.

Auch politische Geisterfahrer, die das hohe Lied eines Marktradikalismus singen, international und national, gehen gegen die Mitbestimmung vor. Und ganz konkret sind es subtil und offensiv auftretende Behinderungen von Betriebsratswahlen bis hin zu Verschlechterungen bei den Personalratsfreistellungen in den Ländern durch die Parlamente. Die Mitbestimmung hat mehr Feinde als Freunde.

Demokratisierung der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes ist schon immer eine Kernforderung der Gewerkschaften. Teilhabe und echte Mitbestimmung sind Voraussetzung für gute Arbeitsbedingungen vor Ort und in der Gesellschaft. Den Kapitaleignern und den durchregierenden Personalleitungen muss auf allen Ebenen die Kraft der Mitbestimmung entgegengesetzt werden.