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Tarifrunde Bund und Kommunen 2023

Sozialpolitisch notwendig, ökonomisch sinnvoll

Die Forderung der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst Bund und Kommunen ist die tarifpolitisch adäquate Antwort in Zeiten der Polykrisen.

Die mehrfachen, sich wechselseitig verstärkenden Krisen erschüttern die Gesellschaft bis in die individuellen Lebensverhältnisse der Menschen hinein: die nicht gebannte Corona-Krise, der aggressive Eroberungskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine und dann der vor allem durch die explodierenden Energie- und Rohstoffpreise angetriebene Inflationsschub. Überlagert werden diese Krisenprozesse durch die ungebremst voranschreitende Klimakatastrophe. Der Verlust an Kaufkraft durch die Geldentwertung vertieft zudem die soziale Spaltung. Die Armut steigt, die Belastungen durch die steigenden Preise in den lebensnotwendigen Warenkörben trifft auch die Beschäftigten auf breiter Front oft ziemlich hart.

Den Gewerkschaften stellt sich also die Frage, wie sie ihr Ziel, gute Arbeit denjenigen zu sichern, die von der Erwerbsarbeit abhängig sind, in der Polykrise durchsetzen. In den aktuellen Tarifrunden müssen wichtige Entscheidungen über die Entlohnung und Arbeitsbedingungen getroffen werden. Schon ist von marktfundamentalen Hardlinern zu hören, mindestens eine Lohnpause sei geboten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) propagiert den Vorschlag, anstatt tarifwirksamer höherer Entgelte abgabenfreie Einmalzahlungen etwa bis zu 3.000 Euro in die „konzertierte Aktion“ einzubringen.

Das verfassungsrechtlich gewollte Tarifvertragssystem ist keine Schönwetterveranstaltung, die in stürmischen Zeiten ausgesetzt werden kann.

Dagegen steht: Das verfassungsrechtlich gewollte Tarifvertragssystem ist keine Schönwetterveranstaltung, die in stürmischen Zeiten ausgesetzt werden kann. Gerade jetzt kommt es darauf an, per Tarifpolitik „gute Arbeit“ auch zur Motivation der arg belasteten Beschäftigten kontinuierlich zu sichern. Dazu gibt es auch gesamtwirtschaftlich und auf die öffentliche Dienstleistungsproduktion speziell konzentriert starke Argumente für eine expansive Entgeltpolitik.

Hierbei steht die Inflationsrate im Mittelpunkt. Denn für die Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Beschäftigten zählt die Reallohnsicherung. Die Rate des Verbraucherpreisindexes, die im vergangenen November den Spitzenwert mit 10,4 Prozent erreichte, führt auch bei den Beschäftigten zu massiven realen Kaufkraftverlusten. Wenn diese nicht mehr durch den Rückgriff auf Erspartes und auch durch Energieeinsparung abgefangen werden können, dann muss an anderer Stelle auf Konsumnachfrage verzichtet werden.

So begründet sich die Tarifforderung

Vor diesem Hintergrund ist die Tarifforderung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gegenüber dem Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) mit 10,5 Prozent gut begründet. Darüber hinaus muss die Tariferhöhung monatlich mindestens 500 Euro erreichen. Diese Mindestsumme trägt der Tatsache Rechnung, dass die Belastung durch die Inflation bei den unteren Entgeltgruppen gegenüber dem Durchschnitt deutlich höher ist.

Selbstverständlich muss bei der allgemeinen Tarifforderung von 10,5 Prozent die zu erwartende Inflationsrate in diesem Jahr berücksichtigt werden. Die vorliegenden Prognosen gehen insgesamt von einem allerdings nur schwachen Rückgang der Rate gegenüber dem vergangenen Jahr aus. Jedoch werden die trotz staatlicher Hilfen immer noch hohen Energie- und Lebensmittelpreise den Warenkorb der Beschäftigten vor allem im unteren Einkommensbereich stark belasten.

Auch ist das Risiko einer plötzlich nach oben schnellenden Inflationsrate nicht von der Hand zu weisen. Schließlich wird mit der 10,5-Prozent-Forderung in der Tarifrunde für den Bereich des Bundes und der Kommunen eine Kompensation für deutliche Reallohnverluste vor allem im vergangenen Jahr angestrebt. Die Lohnformel dient zudem auch dazu, den Abstand gegenüber der Privatwirtschaft abzubauen und den öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiv zu machen.

Die Forderungen der Gewerkschaften sind nicht maßlos.

Das tarifpolitische Paket der Gewerkschaften lässt sich gegen die Kritik einer „abenteuerlichen Maßlosigkeit“ ökonomisch und bezogen auf die öffentliche Dienstleistungsarbeit begründen: 

  • Die Sorge, auf einen kräftigen Schluck aus der Pulle könnten erhöhte Preise folgen, trifft nicht zu. Die Beschwörung der „Lohn-Preis-Spirale“ lenkt übrigens von den wahren Preistreibern ab. Es sind die marktmächtigen Unternehmen, die die steigenden importierten Angebotspreise dazu nutzen, ihre Gewinne durch exzessive Preisaufschläge zu steigern. Heute dominiert eher eine unternehmerisch getriebene Preis-Preis-Spirale. Die Rede ist von der Green- bzw. der Gierflation der monopolistisch positionierten Unternehmen. Abgesehen von der Herstellung fairen Wettbewerbs sollten die Übergewinne – vor allem in der Mineralölindustrie – abgeschöpft und die Einnahmen an die finanzschwachen Kommunen weitergereicht werden.
  • Einer empirischen Überprüfung hält auch die Behauptung, die Tarifpolitik würde den wirtschaftlichen Absturz beschleunigen, nicht stand. Die erwartete gesamtwirtschaftliche Produktion wird sich nach dem überraschenden Zuwachs um 1,9 Prozent im vergangenen Jahr 2023 eher in der Zone einer allerdings schwachen Rezession (Prognose ifo-Institut: minus 0,1 Prozent) bewegen. Anstatt der Forderung nach Lohnzuwachsverzicht sollte über die Entgelte der Beschäftigten die Massenkaufkraft und damit die binnenländische Nachfrage gestärkt werden. Nicht diese Lohnpolitik, sondern die rigorose Zinswende der Europäischen Zentralbank steigert derzeit die Rezessionsgefahr. Die Entwicklung auf den Arbeitsmärkten spricht ebenfalls nicht gegen eine expansive Lohnpolitik. Der Beschäftigtenzuwachs ist derzeit groß, die registrierte Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig. Dafür gibt es zwei Gründe: Durch die Sonderregelung zur Kurzarbeit können die unverschuldet in die Krise geratenen Unternehmen ihre Beschäftigten halten. Darüber hinaus erzwingt der anhaltende Fachkräftemangel ein Angebot an guter Arbeit durch angemessene Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Diesem Konkurrenzkampf um knappe Fachkräfte muss sich auch der öffentliche Dienst stellen. 

„Kommunale Investitionsförderung“ ausbauen

Um seine Aufgaben ausreichend und hochwertig zu erfüllen, muss der Staat grundsätzlich in die Lage versetzt werden, sein Personal gut zu entlohnen. Auch deshalb steht die Reform der kommunalen Finanzen auf der Tagesordnung. Dazu gehört vor allem eine stärker auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Steuerreform etwa durch die Einführung einer Vermögensteuer, einer Übergewinnsteuer für die marktmächtigen Krisengewinner und eines Energie-Solis.

Aktuell stellt sich in dieser Tarifrunde dem Bund die Aufgabe, vor allem die finanzschwachen Kommunen bei der Finanzierung ihrer Investitions- und Sozialausgaben stärker zu unterstützen. Dazu sollte das derzeitige Programm „Kommunale Investitionsförderung“ ausgebaut werden. Der Bund hat die Möglichkeit, auch für die Kommunen strategisch wichtige Aufgaben nachhaltiger Zukunftsgestaltung finanziell zu unterstützen. Genutzt werden sollten Sonderfonds für wichtige Infrastrukturprojekte und den ökologischen Umbau. Die kameralistisch gedachte Schuldenbremse beim Bund und den Ländern darf einen funktionierenden öffentlichen Dienst mit angemessenen Gehaltserhöhungen nicht ausbremsen.