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Mitbestimmung in Bildungseinrichtungen

Nicht nur ein Kummerkasten

Personalräte sind ein wichtiges Instrument der betrieblichen Mitbestimmung. Die Interessenvertretung macht sich für die Durchsetzung der Rechte der Kolleginnen und Kollegen an Kitas, Schulen und in der Sozialen Arbeit stark.

In den Pausen eilt Susanne Hoeth schnurstracks ins Lehrerzimmer. Sie übernimmt extra die Frühaufsicht, damit sie in den großen Pausen immer ansprechbar ist. „Das ist sehr wichtig für Personalräte“, findet die Lehrerin einer Grundschule in Frankfurt am Main. Auf dem Tisch liegt das Hessische Schulgesetz griffbereit. „Das ist für unsere Arbeit ganz wichtig“, sagt die Personalrätin. Kürzlich wollte zum Beispiel eine Kollegin einen Ausflug mit ihrer Klasse machen, aber im letzten Moment sagte die Mutter ab, die sie begleiten sollte. Was tun?

Die Lehrerin fragte den Personalrat um Rat. Gemeinsam blätterten sie im Gesetz und suchten die Regelung zur Aufsichtspflicht heraus. Viele Lehrkräfte, so Hoeth, machten den Fehler, direkt zur Schulleitung zu gehen und zu fragen: Darf ich oder darf ich nicht? „Statt um Erlaubnis zu bitten, ist es viel besser, seine Rechte zu kennen“, betont die Personalrätin. „Das stärkt das Selbstbewusstsein.“

„Sonst ist die Gefahr groß, dass unsere Arbeit entwertet wird, nach dem Motto: Das kann ja jeder.“ (Susanne Hoeth)

Die Lehrerin ist seit vielen Jahren im Personalrat aktiv. Bei Ärger, Sorgen oder Problemen können sich die Kolleginnen und Kollegen in der Schule jederzeit an sie und ihre beiden Mitstreiterinnen wenden. Eine Lehrerin beschwerte sich beispielsweise kürzlich darüber, dass sie ständig Vertretungen übernehmen müsse. Das könne sie gut verstehen, betont Hoeth im Gespräch. „Im ersten Schritt ist wichtig, das Problem zu verbalisieren.“

Danach gilt es, das Thema – über das konkrete Beispiel hinaus – strukturell in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu überlegen: Wie lassen sich Vertretungen besser organisieren? Und wird erwartet, dass die Vertretungskraft im Lernstoff fortfährt? Wenn ja, muss es eine ausgebildete Lehrkraft sein. Externe Aushilfen können lediglich für eine Betreuung der Kinder eingesetzt werden. Darauf legt die Personalrätin großen Wert. „Sonst ist die Gefahr groß, dass unsere Arbeit entwertet wird, nach dem Motto: Das kann ja jeder.“

„Aktuell beschäftigt uns als Personalrat vor allem die Corona-Pandemie. Während des Lockdowns haben wir zum Beispiel durchgesetzt, dass Alleinerziehende mit Kindern im Homeoffice arbeiten können. In der Zentrale stand uns für unsere Sitzungen jahrelang ein kleiner Schulungsraum zur Verfügung, der aber durch die Abstandsregelungen zu klein wurde. Deshalb haben wir uns selbst auf die Suche nach einer Alternative gemacht und treffen uns jetzt in einer Kirchengemeinde. Dort ist es sehr kühl, und wir haben keine Tische. Das stört etwas. Die Arbeit im Personalrat macht mir großen Spaß, weil wir direkt etwas bewirken können. Ich sehe uns als Bremsklotz: Wenn wir nicht da wären, würden die Rechte der Beschäftigten den Bach runtergehen.“

Auf die eigenen Rechte pochen

Der Frankfurter GEW-Vorsitzende Sebastian Guttmann betont, dass der Personalrat per Gesetz dazu verpflichtet ist, „berechtigte Anliegen“ der Kolleginnen und Kollegen zu behandeln. Egal, ob sich Lehrkräfte versetzen lassen, ihre Arbeitszeit reduzieren wollen oder unzufrieden mit ihrem Stundenplan sind: „Ich habe immer ein offenes Ohr.“ Als Personalrat hat er zahlreiche Fortbildungen besucht, kennt sich aus mit dem Hessischen Personalvertretungsgesetz, kurz HPVG, und kann kompetent beraten. Wenn er jemandem zu seinem Recht verhelfe, sei das ein tolles Gefühl. „Doch manchmal muss ich auch sagen: Ist blöd, aber das Problem lässt sich -juristisch nicht lösen.“

Wichtig sei, dass sich die Kolleginnen und Kollegen einfach mal ihren Frust von der Seele reden könnten. „Aber der Anspruch geht weit über Kummerkasten hinaus“, betont Hoeth. „In erster Linie geht es um Empowerment.“ Das Schulgesetz sei sehr demokratisch, meint die Gewerkschafterin. Doch in der Realität setze sich immer mehr eine „Top-down“-Steuerung durch: Schulleitung, Schulamt und Kultusministerium machten viele Vorgaben. Umso wichtiger ist es ihrer Meinung nach, auf die eigenen Rechte zu pochen.

„Es kommt darauf an, die demokratischen Strukturen an der Schule bewusst zu machen.“

„Lehrkräfte haben viele Gestaltungsmöglichkeiten“, bekräftigt die Personalrätin. „Es kommt darauf an, die demokratischen Strukturen an der Schule bewusst zu machen.“ So sei die Schulleitung an die Beschlüsse der Gesamtkonferenz gebunden. Beispiel: Durch den Sozialindex erhält ihre Grundschule zusätzliche Stunden. Die Kolleginnen und Kollegen diskutierten, was ihnen wichtiger ist: Mehr Doppelbesetzungen? Oder kleinere Klassen? Sie einigten sich darauf, dass weniger Kinder in einer Klasse sitzen. „Das wurde in einem Jahrgang umgesetzt“, berichtet Hoeth. „Danach war es wegen des Personalmangels nicht mehr möglich.“

Aktuell ist der erste Jahrgang sogar mit mehr Kindern besetzt als üblich. Der Grund: Eine Lehrerin für eine 1. Klasse ist kurz vor der Einschulung ausgefallen, sodass die Kinder auf die anderen Klassen aufgeteilt werden mussten. Der Personalrat macht sich jetzt dafür stark, dass die Klassenleitungen dafür zur Entlastung eine Stunde pro Woche weniger unterrichten müssen.

„Zum ersten Mal in Kontakt mit dem Betriebsrat kam ich, als ich gegen meinen Willen quasi von einem Tag auf den anderen in eine andere Kita versetzt werden sollte. Bis dahin wusste ich kaum etwas über meine Rechte. Seit ich selber im Betriebsrat bin, denke ich oft: ‚Hätte ich das alles früher gewusst.‘ Wurde bei uns in der Kita zum Beispiel jemand während der Arbeit krank und ging früher nach Hause, wurde die restliche Arbeitszeit als Minusstunden verbucht. Heute weiß ich: Krank ist krank. Zu meinen Kindern sage ich immer: Ich bin eine Mischung aus Rechtsanwalt und Seelsorger.

Manche Kolleginnen und Kollegen weinen am Telefon. Neulich rief eine junge Erzieherin ganz verzweifelt an: Sie hatte die Kinder während des Mittagsschlafs kurz alleine im Raum gelassen, um sich etwas zu trinken zu holen. Daraufhin drohte die Leitung ihr mit einer Abmahnung. Einige haben so viel Angst, dass sie am Telefon nicht mal ihren Namen oder ihre Einrichtung nennen wollen. Wir können dann zwar Tipps geben, aber sonst nichts machen. Ich rate allen, dass sie ihre Rechte auch in Anspruch nehmen – ohne Angst.“

Ehrenamtliche Tätigkeit

Für ihre Tätigkeit werden Personalräte an Schulen eine Stunde pro Woche freigestellt. „Das ist eine homöopathische Dosierung“, findet Guttmann. „Die Zeit reicht vorne und hinten nicht.“ Die Arbeit gilt offiziell als Ehrenamt. Doch nach Ansicht des Gewerkschafters müssten die Interessenvertretungen viel stärker unterstützt werden. Eine Schule mit 16 bis 59 Beschäftigten hat Anrecht auf drei Personalratsmitglieder, ab 60 Beschäftigten auf fünf.

Doch sie hätten nicht mal Anspruch auf einen eigenen Raum, kritisiert Guttmann. Auch sei nicht üblich, dass sie ein Telefon oder einen Computer zur Verfügung gestellt bekämen. Immerhin hätten sie jetzt die Möglichkeit, eine eigene Mailadresse zu beantragen. „Das war’s dann aber auch schon.“

„Einige Maßnahmen hören sich in der Theorie ganz gut an, aber man muss sie selbst erlebt haben.“  (Sebastian Guttmann)

Nach einigen Jahren als Personalrat an seiner Schule ist Guttmann in den Gesamtpersonalrat gewechselt: Das Gremium vertritt alle 7.200 Lehrkräfte in Frankfurt beim Staatlichen Schulamt. Der Förderschullehrer könnte sich für die Tätigkeit komplett freistellen lassen, legt aber Wert darauf, weiterhin einige Stunden pro Woche an der Schule zu arbeiten. Nur so bekommt er hautnah mit, was die Lehrkräfte bewegt. Hinzu kommt: „Einige Maßnahmen hören sich in der Theorie ganz gut an, aber man muss sie selbst erlebt haben.“

So weiß Guttmann aus eigener Erfahrung, dass die dienstlichen Mailadressen immer noch nicht richtig funktionieren. Selbst wer bereit ist, sein eigenes Smartphone zu benutzen, kann sich oft nicht einloggen. Deshalb hat der Gesamtpersonalrat in einer Dienstvereinbarung mit dem Schulamt festgelegt, dass wichtige Infos nicht nur per Mail verbreitet werden dürfen. „Es muss immer einen alternativen Weg geben“, sagt Guttmann. „Es darf kein Kollege ausgeschlossen werden.“

„Ich habe mich ziemlich schnell überzeugen lassen, für den Betriebsrat zu kandidieren. Für mich war klar: Das ist gut und wichtig! Als Betriebsrat haben wir diverse Mitbestimmungsrechte. Das vergessen Arbeitgeber ab und zu. Als bei uns der Arbeitgeber die Personalakten digitalisiert hat, ohne es mit uns abzustimmen, sind wir bis zur Einigungsstelle gegangen und haben unser Mitbestimmungsrecht eingefordert. Während der Corona-Pandemie haben wir uns sehr für den Schutz der Kolleginnen und Kollegen stark gemacht und eine eigene Betriebsvereinbarung speziell für Risikogruppen verhandelt.

Ein anderes Beispiel sind Fort- und Weiterbildungen: Wer darf wann wo daran teilnehmen? Da fordern wir aktuell vom Arbeitgeber, klare Regelungen mit uns zu vereinbaren, damit niemand benachteiligt wird. Ich bin überzeugt, dass es Betriebsräte braucht, damit die Beschäftigten nicht gänzlich der Willkür der Arbeitgeber ausgeliefert sind.“

Vernetzung ist wichtig

Mit einer Dienstvereinbarung will der Gesamtpersonalrat auch den Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen stärken. Risse in den Wänden, kaputte Fenster, Schimmel an der Decke: Der enorme Sanierungsstau belaste Lehrkräfte im Schulalltag sehr, berichtet Guttmann. „Wären es keine Schulen, sondern normale Betriebe, wären viele von ihnen schon längst geschlossen.“ Per Gesetz müssen die Schulen „regelmäßig“ begutachtet werden.

„Doch was heißt regelmäßig? Das kann auch alle 100 Jahre sein.“ Deshalb hat der Gesamtpersonalrat Druck gemacht, dass künftig alle fünf Jahre eine Gefährdungsanalyse an jeder Schule durchgeführt werden muss. „So etwas geht im Schulalltag sonst schnell unter.“

Zusätzlich gibt es noch den Hauptpersonalrat, der die Interessen aller hessischen Lehrkräfte vertritt und beim Kultusministerium in Wiesbaden angesiedelt ist. Dort hätten sie zum Beispiel durchgesetzt, dass befristete Verträge üblicherweise nicht mehr mit Beginn der Sommerferien enden, berichtet Hoeth. Ein andermal verhinderte der Personalrat eine geplante Regelung, die regelmäßige und unangemeldete Unterrichtsbesuche vorsah. „So etwas dient nur der Einschüchterung.“

Die Grundschullehrerin betont, wie wichtig die Anbindung des Personalrats an die Gewerkschaft sei. Die GEW sorge für Vernetzung, biete Rechtsberatung und stelle allerhand Infos zur Verfügung. Auch Guttmann betont, dass Personalräte zwar viel bewirken könnten, aber schnell an ihre Grenzen stießen. Wichtige Fragen wie Bezahlung und Arbeitszeit ließen sich nur durch Tarifverträge regeln. Deshalb lasse sich eine richtige Entlastung der Lehrkräfte nur mit der Gewerkschaft durchsetzen. Für den 48-Jährigen steht fest: „Man braucht unbedingt beides.“