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„Rom som – Ich bin ein Mensch“

Der Sintimusiker und Grünenpolitiker Romeo Franz zu Gast beim GEW Kreis Worms-Alzey-Frankenthal

Im Zuge der Asyldebatte wird viel über den Zuzug von Roma-Familien aus dem Balkan und Rumänien berichtet. Oft werden diese als Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlinge tituliert.

In einer gemeinsamen Veranstaltung der GEW Kreis Worms-Alzey-Frankenthal und Bündnis90/ Die Grünen Stadtverband Worms wollten wir uns näher mit der Thematik beschäftigen und haben uns einen profunden Kenner der aktuellen Situation eingeladen.

Da die Begriffe Sinti, Roma, Zigeuner oder fahrendes Volk je nach Ductus synonym gebraucht werden, widmete sich Franz zunächst der Begriffsklärung. Die deutschen Sinti wurden erstmalig urkundlich erwähnt 1407 in Hildesheim als Pilger. Dort traten sie als Künstler, Goldschmiede und Handwerker auf, sie waren sprachkundig, gut gekleidet und zunächst betrachtet man sie mit Neugier.

Als Herkunftsgebiet wird oft das nördliche Indien – die Provinz Kaschmir -  genannt, wo sie im Zuge der Türkeneinfälle nach Westen geflohen sind. Es dauerte nicht lange, bis die Stimmung umschlug und die einheimischen Zünfte die Konkurrenz fürchteten. In Augsburg wurden zum ersten Mal Sinti für vogelfrei erklärt.

In der Abschussliste eines Jägers im 16. Jahrhundert befinden sich neben Fuchs, Hase und anderen Tieren auch eine Zigeunerin mit Kind.

Wenn die Herren sich wirtschaftliche Vorteile versprachen, stellten sie auch das ein oder andere Mal Schutzbriefe aus.

Der Antiziganismus ist demnach seit dem Mittelalter in deutschen Landen weit verbreitet und kulminierte in den 500.000 Toten in der NS- Zeit. Nur 10 % der deutschen Sinti haben den Holocaust überlebt. Es gibt demnach keine Familie, die nicht persönlich betroffen ist. Was noch viel schlimmer wirkt, ist die ständige Diskriminierung mit der Aussage Kriminalität, Faulheit und Dummheit seien genetisch bedingt und Sinti seien aufgrund ihres unsteten Lebenswandels un- patriotisch und nicht sozialisierbar. Ermutigt durch die Bürgerrechtsbewegung der siebziger Jahre und nach einem längeren Hungerstreik 1981 wurde der Völkermord durch die sozialliberale Koalition anerkannt.

Skandalös wirkt es sich auch der Einsatz der Amtsärzte als Gutachter für Schadensersatzleistungen aus. So war zum Beispiel der ehemalige SS- Arzt Dr. Hermann Arnold als Leiter des Gesundheitsamtes Landau für die Begutachtung der Pfälzer Sinti zuständig.

Die deutschen Roma leben seit der industriellen Revolution unter uns. Vor allem in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind vermehrt Roma aus Osteuropa zugezogen Nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens hält dieser Zuzug an.

Franz berichtet mit einem Powerpointvortrag über seine Reisen in diese Länder.

In Osteuropa ist die Verfolgung teilweise so stark, dass sich Roma nicht aus ihren Stadtteilen trauen und dort in Selbstversorgung leben. In Belgrad zum Beispiel gibt es Romaviertel aus Papphütten mit einer viermal höheren Sterblichkeit als in der übrigen Bevölkerung. Diese Flüchtlinge sind oft vor dem Krieg im Kosovo geflohen oder wurden bei der Rückkehr in den Kosovo mit Waffengewalt gezwungen ihren Besitz aufzugeben. Im Kommunismus hatten alle Zugang zu Bildung und Grundeigentum, für die Roma bedeutete dies Freiheit vor direkter Verfolgung, die Möglichkeit zur Schulbildung und zum Erwerb von Grundbesitz.

Die nach Deutschland geflüchteten Roma stellen ungefähr 7-10 % der Asylsuchenden im Jahr 2014.

Sie sind grundsätzlich äußerst misstrauisch gegenüber dem Staat. So kommt es häufig vor, dass vor allem Eltern und Großeltern in Drückerkolonnen arbeiten oder betteln, wohingegen die Kinder in die deutsche Schule gehen.

Franz erklärt dies mit der Tatsache, dass Roma bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Leibeigene waren und ohne Selbstwertgefühl für jeden Lohn arbeiten.

Da wir selbst in unseren Schulen oft Sinti und Roma Kinder erleben, die den regelmäßigen Schulbesuch verweigern oder anderweitig auffallen, führte Franz aus, dass nur 18,8 % der circa 100.000 Sinti und Roma in Deutschland eine Berufsausbildung haben und nur 2,3 % das Gymnasium abschlossen. Seine Stiftung konnte eruieren, dass die Hälfte der Eltern nicht bei den Hausaufgaben helfen können. Die Angst vor dem Staat begründet er mit der Post- traumatisierung der Großelterngeneration, oft wird die Förderschule als Hilfe für das Untersichbleibenkönnen verstanden. Mit Bildungsberatern für diese Kinder konnten Bildungsfortschritte dokumentiert werden.

Wahrgenommen werden in diesem Zusammenhang nicht die Bausenatoren, Beamten und erfolgreichen Selbstständigen aus der Gruppe der Sinti sondern die Armen.

Ein Outing fällt den meisten schwer, nicht wenige haben nach diesem ihre Existenz verloren.

Es gilt laut Franz immer noch das Exklusionsprinzip: Bei vielen Deutschen ist der Völkermord unbekannt und jeder Dritte lehnt Sinti und Roma als Nachbarn ab. 27 % waren laut einer Umfrage für die Verbannung aus Innenstädten. Die Stiftung: kontert die Stammtischparolen und trägt dazu bei, das Selbstwertgefühl der Sinti und Roma zu stärken. Es werden Gespräche mit und nicht über die Betroffenen geführt.

Mit RomAS- Berlin wurde ein Fortbildungsinstitut gegründet, das Workshops anbietet und Bildungsberater ausbildet. Franz wünscht sich, dass das Abziehbild schlechter Sitten: „Der Zigeuner“ aus unserer Gesellschaft verschwindet und das Prinzip der bürgerlichen Ausgrenzung überwunden wird. Dazu ist neben der Selbstanstrengung der Betroffenen auch die Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft nötig.

Nach einem informativen Abend, der sicher den ein oder anderen betroffen aber auch zuversichtlich machte, bedankte sich der Kreisvorsitzende Christian Diehl beim Referenten und wünsche ihm viel Erfolg für seine Arbeit in der Stiftung.  

www.romeo-franz.de

de.hildegard-lagrenne-stiftung.eu