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Queer in der Bildung

„Kein Ruhmesblatt“

2018 startete in Thüringen das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt. Matthias Gothe von der Koordinierungsstelle in Jena zieht im E&W-Interview Bilanz.

  • E&W: Anfang 2018 verabschiedete die Thüringer Regierungskoalition unter Bodo Ramelow (Die Linke) das -Programm zur Akzeptanz von Vielfalt sexueller -Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten. Wie fing es an?

Matthias Gothe: Thüringen war eigentlich spät dran, andere Bundesländer waren damals schon weiter. Aus der Christopher-Street-Day-Bewegung entstanden während der CDU/SPD-Regierung von Christine Lieberknecht Gespräche für ein solches Programm, das in der ersten Koalition unter Ministerpräsident Ramelow endlich umgesetzt wurde. Eine Besonderheit in Thüringen war, dass das Landesprogramm in einem Dialog mit den Communities der queeren Zivilgesellschaft geschrieben wurde. Dabei sind viele unserer Wünsche eingeflossen – auch wenn wir an manchen Stellen weiter-gehende Forderungen hatten.

  • E&W: Was sieht das Landesprogramm -genau vor, was ist das Anliegen?

Gothe: Es ist ein Katalog von mehr als 200 Maßnahmen und damit im Ländervergleich einer der umfangreicheren. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und andere queere Menschen (LSBTIQ*) sollen diskriminierungsfrei und gleichberechtigt leben können. Dafür wollen wir den Umgang mit LSBTIQ*-Personen verbessern sowie die Sichtbarkeit und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt erhöhen. Dieses Anliegen erstreckt sich über alle Lebenslagen von der Geburt bis zur Altenpflege und Sterbehilfe. Im Schulbereich werden zum Beispiel gerade Leitlinien und Handlungsempfehlungen für Lehrkräfte im Umgang mit trans- und intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen geschrieben. Dass diese Empfehlungen nach fünf Jahren noch nicht vorliegen, ist allerdings kein Ruhmesblatt.

  • E&W: Was hat das Programm bisher gebracht?

Gothe: Die früher ausschließlich ehrenamtlich arbeiten-den LSBTIQ*-Communities werden heute von hauptamtlichen Strukturen unterstützt. Es gibt unsere Koordinierungsstelle sowie das Queere Zentrum in Erfurt und eine Beratungsstelle des Vereins Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland. Die Wahrnehmung in der Gesellschaft ist damit spürbar gewachsen. LSBTIQ*-Personen sind eben keine Einzelpersonen, sondern machen 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie sind statistisch betrachtet in jeder Schulklasse und jedem Kollegium zu finden.

  • E&W: Wie erleben Sie die Umsetzung des -Programms?

Gothe: In staatlichen Stellen läuft noch vieles schleppend. Zum Beispiel gibt es derzeit nur in der Staatskanzlei dedizierte Haushaltsmittel sowie eine Stabsstelle für das LSBTIQ*-Programm. Dort sind wir übrigens dem Stabsreferat für Bürger*innenanliegen samt Kontaktstelle für Betroffene von Terroranschlägen und Amoktaten zugeordnet. Das sagt schon viel aus. Für eine zielgerichtete Umsetzung brauchen wir vor allem feste Ansprechpersonen und Haushaltstitel in allen Ressorts. Denn für die Umsetzung einzelner Maßnahmen sind verschiedenste Ministerien zuständig. Wir müssen immer wieder einzelne Förderanträge stellen und hoffen, dass diese genehmigt werden. Greifbare Prozesse werden dabei oft erst auf unsere Nachfrage hin angeschoben.

  • E&W: Zum Beispiel?

Gothe: Wir haben erst kürzlich erfahren, dass in allen Staatsanwaltschaften bereits seit 2018 Vertrauenspersonen für LSBTIQ*-Fragen benannt sind. Sie sind aber bis heute nicht öffentlich kommuniziert. Zumindest haben wir nie etwas davon erfahren und können sie auf den Webseiten nicht finden. Wir fordern daher klare Ansprechpersonen in den jeweiligen Ressorts und dedizierte Haushaltstitel. Außerdem möchten wir das Landesprogramm nach fünf Jahren evaluieren lassen, um besser beantworten zu können, wo wir in der Umsetzung stehen, was dabei Gelingensfaktoren waren und wo Hindernisse liegen.

  • E&W: Würden Sie sagen, dass Sie in Ihrer Arbeit behindert werden?

Gothe: Rückschläge erleben wir vor allem aus konservativen politischen Kreisen. Die CDU-Fraktion hat Ende vorigen Jahres im Landtag durchgesetzt, dass in der Landesverwaltung und damit auch an Schulen, Hochschulen und anderen Landeseinrichtungen das Gendern verboten werden soll. Die CDU begründete das damit, dass Gendersprache Ausdruck einer „ideologischen Auffassung“ sei, die das biologische Geschlechtersystem von Mann und Frau infrage stelle. Weil die aktuelle rot-rot-grüne Landesregierung keine Mehrheit im Parlament hat, haben die Christdemokraten diesen Vorstoß zusammen mit der AfD durchbekommen. Ein solches Klima erschwert unsere Arbeit. Der Wandel bleibt also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Staat und Politik nicht allein lösen können.