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Große Resonanz auf 1. Koblenzer Forum Soziale Arbeit

Den Wert sozialer Arbeit sichtbar gemacht

Am 08. März haben 70 Beschäftigte der Sozialen Arbeit an einer ganztägigen Veranstaltung teilgenommen, zu der die GEW und das IFW der Hochschule Koblenz unter dem Titel „Den Wert Sozialer Arbeit sichtbar machen“ eingeladen hatten. Nach einem sehr lebendigen und abwechslungsreichen Tag, für den sich das Organisationsteam um Maria Schäfer (GEW Bezirk Koblenz) und Professorin Kathinka Beckmann (Hochschule Koblenz) nicht nur inhaltlich sondern auch methodisch einiges hatten einfallen lassen, gingen wohl die meisten der Teilnehmenden mit einem Gefühl nach Hause etwas Besonderes erlebt zu haben. Das Ziel der Veranstaltung, eine Antwort auf die Frage „Was ist der Wert Sozialer Arbeit“ zu finden, wurde jedenfalls erreicht.

Julia Hille, Kathinka Beckmann, Maria Schäfer und Teilnehmerin Stephanie Linnig (v.l.n.r.)

Sowohl der Arbeits- und Diskussionsprozess des Tages wurden von Tom Fiedler, einem Visualisierungskünstler, nahezu protokollarisch in einem großflächigen Wandbild festgehalten. „Dieses Bild wollen wir nutzen, um den Geist und die Ergebnisse der Veranstaltung nach außen zu tragen und eine Bewegung zu initiieren, die der Sozialen Arbeit mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung bringt“, freuten sich die beiden Veranstalterinnen über die ungewöhnliche wie professionelle Dokumentation der Tagung.
 

Tom Fiedler in Aktion

Soziale Arbeit – wie geraten die Babys in den Fluss?
Begonnen hatte der Tag mit einer kleinen Geschichte, die Maria Schäfer als Teil ihrer Begrüßungsansprache erzählte: „Eine Sozialarbeiterin saß an einem Fluss und sah ein hilfloses Baby vorbeitreiben. Sie sprang ins Wasser und rettete das Baby. Kurz darauf trieb ein weiteres Baby im Fluss und die Sozialarbeiterin rettete auch dieses. Derselbe Vorgang wiederholte sich noch ein paar Mal, bis die Kollegin erschöpft am Ufer saß und von einer anderen Sozialarbeiterin angesprochen wurde. Diese wollte wissen, wie denn flussaufwärts die ganzen Babys in den Fluss geraten. Beide guckten sich an und entschieden sich flussaufwärts zu gehen und nach der Ursache zu sehen.“ Schäfer stellte einen Zusammenhang der kleinen Geschichte mit der Idee ihrer Tagung her. So  machte sie die Anwesenden darauf aufmerksam, dass das 1. Koblenzer Forum Soziale Arbeit auch dazu diene, Raum und Zeit einzuräumen, um nach den Ursachen zu fragen, die sozialer Benachteiligung und sozialpädagogischer Hilfebedürftigkeit zugrunde liegen.

Soziale Arbeit – Differenz zwischen gesellschaftlich Erwartetem und persönlich Erwünschtem
Einen ersten längeren Input erhielten die Anwesenden von Peter-Erwin Jansen, M.A., Dozent für Soziologie und Philosophie. Jansen, der an der Hochschule Koblenz arbeitet, zeigte sich als ein profunder Kenner sowohl der geschichtlichen Dimension sozialer Arbeit als auch aktueller philosophisch sozialwissenschaftlicher Diskussionen, die national und international zum Thema geführt werden. Er setzte sich in seinem Vortrag mit a) dem Anerkennungsmodell von Axel Honneth, b) einer Sichtweise von Sozialer Arbeit als Fürsorgearbeit sowie c) der Konfrontation der Beschäftigten  mit dem gesellschaftlich Geforderten oder Erwarteten und dem persönlich Erwünschten auseinander. Von Jansens viel beachtetem Vortrag dokumentieren wir an dieser Stelle die Zusammenfassung am Ende seiner Ausführungen. Das vollständige Dokument befindet sich als Download auf www.gew-rlp.de.

„Das hier in Ansätzen dargestellte, dreistufige Anerkennungsmodell von Axel Honneth und die weiterführenden Überlegungen, was gesellschaftliche Gründe für soziale Konflikte, für Missachtung und Verletzbarkeit von Individuen sein können, könnte also einen neuen Deutungsrahmen für eine kritische Praxis sozialer Berufe bilden, die sowohl die eigene Profession als auch die Situationen, derjenigen reflektiert, für die sie advokatorisch Unterstützung bietet. Ein grundlegendes Dilemma, dem sich in sozialen Institutionen beschäftigte Menschen stellen müssen, ist die relativ geringe öffentliche und gesellschaftliche Anerkennung einerseits und die Missachtungskontexte in denen sich die Menschen befinden, für die sie sich einsetzen, andererseits. Ein zweites Dilemma, dass eng an den Arbeitsbegriff einer neo-liberalen Leistungsgesellschaft gekoppelt ist, besteht darin, Menschen wieder dafür fit zu machen, dass sie dorthin zurückkehren sollen, wo ihre Probleme oft entstanden sind: in eine gesellschaftlich geteilte Normalität, die sich an der Leistungsfähigkeit im Arbeitsprozess und an den Anpassungswillen der Individuen an einer widerspruchslosen Normativität der Gesellschaft orientiert. Ein drittes angesprochenes Dilemma ist die unklare Bedeutung davon, was professionelle soziale Tätigkeit ist und was sie für die Gesellschaft bedeutet. Die Erfahrung von Anerkennung der eigenen Leistungen für Andere lässt sich eben nicht über Verwertungsinteressen und den ökonomischen Leistungsbegriff definieren. Dazu werden Menschen in sozialen Berufen aber immer wieder aufgefordert. In einem neu zu definierenden Konzept sozialer Tätigkeiten solltedemnach berücksichtigt werden, dass Anerkennungserfahrungen von Leistung jenseits wirtschaftlicher Prinzipien eine wichtige Rolle spielen. In diesem Sinne ist das Thema der Veranstaltung gut gewählt. Den Wert Sozialer Arbeit sichtbar machen: Die Würde des Menschen im Sinne der Menschenrechte zu verteidigen, die Anerkennungstheorie könnte dabei gute Dienste leisten.“

Ein systemischer Blick auf den Wert der sozialen Arbeit
Julia Hille von der Hochschule Nordhausen warf in einem Kurzvortrag einen Blick auf den Wert der sozialen Arbeit aus systemischer Sicht. Sie erläuterte zunächst ein konstruktivistisches Menschenbild und folgerte dann, dass generell keine sicheren Aussagen getroffen werden können, ob  bei der Wahrnehmung eines Menschen „subjektive Wirklichkeit“ und „(objektive) Realität“ übereinstimmen. Hille empfahl den Beschäftigten in der Sozialen Arbeit sich zusammenzuschließen und verwies auf das alte Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Sie regte  außerdem dazu an sich gelingende Geschichten zu erzählen, damit sich auch die Möglichkeit des Glücks festsetzt, dass es geben könnte.  Es ist zur Beantwortung der Frage nach dem Wert der Sozialen Arbeit hilfreich, so die Sozialpädagogin M.A., auf einer Ebene miteinander zu diskutieren, die die Souveränität aller und das geteilte Menschsein achtet. Das Zuhören können gilt für Hille als eine zentrale Kompetenz. Zuhören bedeute aber nicht zuzustimmen, sondern lediglich verstehen zu wollen, woher die andere Person kommt und diese und deren Meinung anzuerkennen. Die Referentin, die sehr praxisorientiert vortrug und argumentierte, schlug den Anwesenden zum Ende ihrer Ausführungen „Erste kleine Schritte …“ vor, zum Beispiel im sich anschließenden Workshop mindestens eine Frage zu stellen oder das Zuhören zu üben („zählen Sie bis fünf, bis Sie etwas sagen“).

Wer waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 1. Koblenzer Forum Soziale Arbeit? Zahlreiche Beschäftigungsfelder waren vertreten: Offene Jugendarbeit, ambulante und stationäre Jugendhilfe, Beratungsarbeit, z.B. Flüchtlingsberatung, Schulsozialarbeit, soziale Arbeit in der Gesundheitsprävention und -rehabilitation, im Strafvollzug, in der Familienhilfe, der Altenarbeit, der Behindertenhilfe, der Amtsvormundschaft, der Gemeindearbeit, der Psychiatrie, im Bundeswehrsozialdienst, u.a.. Auch Studierende der Sozialen Arbeit haben teilgenommen. Teilgenommen haben überwiegend Beschäftigte aus der Region Koblenz, die z.B. bei einer Kommune, bei einer Diakonie, einer Caritas oder bei einem privaten Jugendhilfeträger beschäftigt sind. Auch Interessierte aus Mainz, Trier, Kaiserslautern, Bonn und Köln haben teilgenommen.

Intensive Arbeit in den Workshops und lebendige Diskussion im „Fishbowl“
In den Workshops, deren Zusammensetzung nach einem Zufallsprinzip geschah, waren die Teilnehmenden dazu aufgefordert ausgewählte Fragen Sozialer Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren: A) Fachkräfte als Menschen, die soziale Arbeit betreiben. B) Adressaten als Menschen, die von sozialer Arbeit profitieren. C) Gesellschaft, als Menschen, die von sozialer Arbeit indirekt profitieren. D) Politik / Finanziers als Menschen, die soziale Arbeit bezahlen. Die Zusammenführung und die Auswertung der Arbeit in den Workshops passierte mit einer sogenannten Fishbowl-Methode. In einem Gesprächskreis diskutierten Mareike Blum (Gesellschaft), Julia Hille (Expertin), Gabriele Paries (Politik), Kathrin Friedrich (Adressatin), Christof Beiser (Fachkraft) und Maria Schäfer (Gewerkschaft) über den Wert sozialer Arbeit. Dass dieser Programmteil zu einem vollen Erfolg wurde lag vor allem daran, dass den Beteiligten der rollenbedingte Perspektivwechsel gut gelang und Kathinka Beckmann den Gesprächskreis sehr überzeugend moderierte. So konnten lebendige und wirklichkeitsnahe Dialoge entstehen, die in der Sache nach vorne brachten und das restliche Publikum begeisterten.

Bei der Fishbowl-Methode diskutiert eine kleine Gruppe von Personen im Innenkreis das Thema, während die übrigen Teilnehmer*innen in einem Außenkreis die Diskussion beobachten. Möchte eine Person aus dem Außenkreis etwas zur Diskussion beitragen, gibt es auch hierzu eine Möglichkeit, da ein Stuhl frei bleibt, der temporär besetzt werden kann.

„Warum muss ich ständig nachweisen, dass ich Hilfe benötige?“ (Adressatin). „Was da genau gemacht wird in der sozialen Arbeit, das wissen wir nicht“ (Gesellschaft). „Das ist alles viel zu teuer. Wir brauchen Erfolge, die dokumentiert sind, um Ausgaben zu rechtfertigen“ (Politik). „Die Hürden soziale Leistungen zu erhalten werden teilweise hoch gehalten, um potentielle Antragsteller abzuschrecken“ (Gewerkschaft). „Ohne uns geht es nicht. Wir können unsere Klienten nicht allein lassen“ (Fachkraft). „In der sozialen Arbeit wird viel geleistet und es werden tolle Sachen gemacht. Das muss von Trägern und Beschäftigten lauter gesagt werden“ (Expertin). Es wurde auch nach Strategien gefragt, wie soziale Problemlagen abgebaut und der Wert sozialer Arbeit sichtbarer werden kann. Aus dem Publikum, ein Platz im Fishbowl war frei geblieben und konnte abwechselnd durch eine weitere Person besetzt werden, kamen Anregungen wie Solidarisierung der Berufsgruppe, Investitionen in Wirkungsforschung, Umwandlung freiwilliger Leistungen in der Jugendhilfe in Pflichtleistungen, Mitarbeit in Gremien, z.B. Jugendhilfeausschuss, politische Arbeit als selbstverständlicher Teil sozialer Arbeit, Agieren in Netzwerken um sich der zentralen Fragen zu „bemächtigen“, Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit, auch verbunden mit Einladungen an Politiker in die Einrichtungen. Selbst ein Sozialarbeiter*innen-Streik wurde mit Hinweis auf den spektakulären und erfolgreichen Kita-Streik aus dem Jahr 2015 genannt.

Veranstalterinnen rundum zufrieden
Maria Schäfer, die das Forum federführend organisiert hatte, war am Ende der Veranstaltung rundum zufrieden. Hatte sie es doch an diesem Tag zusammen mit ihrem Team geschafft, eine Allianz zwischen Gewerkschaft, Hochschule und zahlreichen Akteuren sozialer Arbeit hinzubekommen. Schäfer will das Forum jetzt etablieren und hofft auf die notwendige Unterstützung der Beschäftigten. „Letztendlich können wir unser Ziele, den Wert sozialer Arbeit zu bestimmen und sichtbar zu machen, soziale Problemlagen abzubauen und Beschäftigungsbedingungen zu verbessern wohl nur erreichen, wenn sich weitere Kolleginnen und Kollegen in dieser Sache engagieren. Unter dieser Voraussetzung kann ich mir sogar vorstellen, dass meine Gewerkschaft in absehbarer Zukunft ein weiteres Forum anbieten kann. Auch eine Ausweitung unserer Arbeit in andere Regionen von Rheinland-Pfalz, beispielsweise Mainz, Kaiserslautern oder Trier halte ich dann für denkbar“, resümiert Schäfer, die auch optimistisch ist, dass sich aufgrund ihrer Angebote weitere Beschäftigte der Sozialen Arbeit in der GEW organisieren werden.

Positives Feed-Back
…. ein großes Lob und Dankeschön für die Umsetzung des Forums. Es hat mir ausgesprochen gut gefallen und stößt einen Diskurs, bzw. eine Bewegung an, die schon lange überfällig ist …. liegt der Wert der Veranstaltung darin, was folgend daraus geschlossen und initiiert wird … ich finde es eine wichtige und essentielle Sache für unsere Profession da dran zu bleiben, Ideen zu entwickeln und das Gesicht der Sozialen Arbeit im öffentlichen Diskurs zu schärfen ….. dazu möchte ich meinen Beitrag leisten …. . (Auszug aus einer Rückmeldung eines Forums-Teilnehmers)

 

Kathinka Beckmann, Professorin an der Hochschule in Koblenz engagiert sich für einen besseren Kinderschutz. Sie veröffentlichte 2018 eine Studie zur Situation in den Jugendämtern und erregte damit deutschlandweit Aufmerksamkeit.

Maria Schäfer, Soziologin B.A., arbeitet in einer Beratungsstelle der Ev. Diakonie Koblenz. In der GEW engagiert sie sich ehrenamtlich für sozialpädagogische Berufe, weil sie davon überzeugt ist, Verbesserungen nur gemeinsam erreichen zu können.

 

Texte und Fotos: Bernd Huster

Kontakt
Maria Schäfer
Mobil:  017620021612
Prof. Beckmann (l.) und Maria Schäfer (GEW)
P.-E. Jansen, M.A., Dozent Soziologie/Philosophie
Diskussion im Fishbowl