Zum Inhalt springen

Bund-Länder-Verhältnis

Es braucht jetzt Veränderungen!

Bund und Länder arbeiten in der Bildung nicht optimal zusammen. Zehn Forderungen und Empfehlungen, wie es besser gehen könnte.

Karikatur: Freimut Woessner

Die Steuerung föderaler Systeme mit zusätzlich starker kommunaler Selbstverwaltung ist kompliziert. Das ist Absicht. Machtkonzentration soll vermieden werden. Entscheidungen vor Ort sind meistens sachnäher. Das führt bei jeder Form der Zusammenarbeit zu langsamen und komplizierten Abstimmungsmechanismen.

Im Normalfall sind solche langwierigen Entscheidungsprozesse sogar erwünscht. In Krisen erweisen sie sich als hinderlich. Daher sind im Fall der Corona-Pandemie viele Entscheidungswege insbesondere im Gesundheitsbereich verändert worden. Für den Bildungsbereich allerdings galt das im Wesentlichen nicht. Alle im Bildungsbereich Verantwortlichen haben ihre Zuständigkeiten und Verfahrenswege auch in der Krise beibehalten.

Für die Zukunft sollte der Kultusbereich bei ähnlichen Krisen die (äußeren) Entscheidungen entweder in die ressortübergreifenden Krisenstäbe einbringen oder eigene, schnellere und verbindlichere Entscheidungen treffen können. Krisen brauchen auch im Bildungsbereich andere Verfahren.

Zuständigkeiten neu verteilen

Die Debatte über die politische Steuerung aller Systeme wird vor allem über die vertikale Zuständigkeitsverteilung geführt: Bund oder Länder oder Bund und Länder gemeinsam. Andere Probleme der politischen Steuerung werden dagegen unterschätzt oder ausgeblendet.

So orientiert sich der Ressortzuschnitt, was Kinder und Jugendliche angeht, an Institutionen, nicht an Lebenslagen. In den meisten Bundesländern sind die Zuständigkeiten für Kinderbetreuung, Kinder- und Jugendarbeit, Schule und Hochschule getrennt. Wenn der Kindergarten aber auch eine Bildungseinrichtung ist, dann würde es sinnvoll sein, die Zuständigkeiten im Kultus- und nicht im Familienministerium zu bündeln. Eine gute Lehrerausbildung kommt nicht zustande, wenn in einem Bundesland und in der Kultusministerkonferenz (KMK) die Schul- und die Hochschulseite nicht zusammenarbeiten oder die Zuständigkeit getrennt ist.

Im Bund-Länder-Verhältnis wird überwiegend über das sogenannte oder angebliche Kooperationsverbot im Grundgesetz diskutiert. Problematischer ist, dass durch die verschiedenen Einzeleingriffe in das Grundgesetz zur Lösung konkreter Einzelfragen das Gesamtgebilde von Zusammenarbeit und Grenzen zwischen Bund und Ländern vollständig unsystematisch geworden ist: Der Bund beteiligt sich an Kosten für Kinderbetreuung. Er darf sich an der Lehrerausbildung an Hochschulen beteiligen, nicht aber an der Lehrerfortbildung. Bildungsinfrastruktur bei Toiletten und Breitband darf er bezahlen, aber nicht sagen, was damit gemacht wird.

Denkbare Föderalismusreform

Für welches Modell (Trennung oder Kooperation) man sich im Wege einer denkbaren Föderalismusreform auch entscheidet, es muss erstens in sich schlüssig sein und zweitens nicht lediglich eine verkappte Finanzbeteiligung des Bundes regeln. Zusammenarbeit ist mehr als die fördernde Finanzierung von Beton oder das Legen von Bypässen, die das Grundgesetz listenreich auslegen.

Die Umsetzung des Digitalpakts verweist auf das möglicherweise größere Problem politischer Steuerung im Föderalismus: die Zusammenarbeit der Länder untereinander und das Verhältnis der Länder zu ihren nachgeordneten Bereichen und Schulen.

Insgesamt ist die Bereitschaft zu gemeinsamen Lösungen hier viel zu gering. Zwar haben die Länder gemeinsame Bildungsstandards verabschiedet, die Umsetzung wurde aber offengelassen, und die Länder kommen – von Ausnahmen abgesehen – nur schleppend voran. Auch das ländergemeinsame Eckpunktepapier zur Neugestaltung der Lehrerfortbildung vom März 2020 hängt mit seinen weitreichenden Ansprüchen in der Luft. Seit Jahren wird in der KMK ergebnislos über die Feriengestaltung verhandelt. Die Anerkennung von Abschlüssen ist immer noch unbefriedigend. Bis heute gibt es keine gemeinsame Auffassung darüber, welche digitalen Dienste und Anwendungen in Schulen verwendet werden dürfen.

Schulleitungen stärken

Eine echte Zusammenarbeit zwischen der KMK und der Jugendministerkonferenz findet nicht statt. Die Beziehungen zwischen der Schulseite und der Hochschulseite in der KMK sind schlecht. In anderen Politikbereichen funktioniert die Länderzusammenarbeit besser, etwa in der Innenminister- oder der Finanzministerkonferenz.

Die Länder lehnen eine Steuerung von Bildungsangelegenheiten durch den Bund ab. Gleichzeitig besteht immer noch vielfach die Illusion, man könne aus einer Landeshauptstadt heraus eine wirksame Mikrosteuerung für alle Schulen des eigenen Landes vornehmen. Ein Vergleich der Wirksamkeit von Steuerungsmethoden im Bildungsbereich zwischen großen deutschen Flächenländern mit kleineren Nationalstaaten wie den Niederlanden oder Dänemark würde sich lohnen.

Schulaufsicht in einer obersten oder oberen Landesbehörde müsste anders aussehen. Das gilt für Details der Schulorganisation ebenso wie für die Lehrerfortbildung und die Vorgabe von Lerninhalten. Das alte Monopol der Zulassung von Büchern nach Fächern und Klassen ist im digitalen Zeitalter vorbei. Es lässt sich nicht auf den Umgang mit digital verfügbaren Lehr- und Lernangeboten übertragen.

In der Krise hat es aber eine Steuerung des Schulbetriebs in Hinsicht auf die Nutzung digitaler Angebote kaum gegeben. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer haben gemacht, was sie für richtig hielten. Das hat viel Gutes bewirkt. Sinnvoll wäre aber kohärentes Handeln auf der Ebene der einzelnen Schule auf der Grundlage einheitlicher Rahmensetzungen gewesen. Dies ist ein weiterer Punkt, warum Schulleitungen gestärkt werden müssen.

Karikatur: Freimut Woessner

Zehn Forderungen:

  1. Die Koalitionsvereinbarung von SPD, Grünen und FDP sieht einen „Föderalismusdialog“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vor. Das ist zwar wünschenswert, aber warum warten? Auch ohne Föderalismusreform können sich die Länder zu einer echten Reform der Zusammenarbeit in der KMK verabreden, insbesondere auch, um einheitliches Handeln in Zeiten von Krisen zu gewährleisten.
  2. Für die Zusammenarbeit der Länder untereinander sollte mehr das Prinzip gelten: arbeitsteilig einer für alle statt alle gemeinsam. Die gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben könnten jeweils von einem Land übernommen werden, beispielsweise im Bereich der IT-Standards. Voraussetzung wäre die dann folgende verbindliche Umsetzung durch alle Länder. Die Kultusminister sollten sich stärker an den gemeinsamen Arbeiten anderer Ressorts zur Digitalisierung des öffentlichen Sektors beteiligen. Insellösungen im Bildungsbereich sind nicht zukunftsfähig.
  3. Insbesondere bei der Nutzung von Lerninhalten brauchen die Schulen größtmögliche Freiheit. Lehrkräfte sollen ermutigt werden, Standards und Lehrpläne nicht als Stoffsammlung zu verstehen, die um jeden Preis abzuarbeiten ist. Freiheit im Weg, Verbindlichkeit im Ergebnis sollte das Motto sein.
  4. Eine bundeseinheitliche Bildungs- oder Schulcloud wird es nicht geben. Alle Länder sollten sich aber verpflichten, einfach nutzbare und sichere Schnittstellen zu ihren Lernplattformen anzubieten.
  5. Die KMK sollte bei ihrem erneuten Versuch, verbindliche Bildungsstandards für die Abschlussklassen aller Schulformen festzulegen, nicht zu detaillierten inhaltlichen Vorgaben zurückkehren, sondern einen klaren Rahmen formulieren, der Mindeststandards mit großen Gestaltungsspielräumen verbindet.
  6. Die Lehrkräftefortbildung muss insbesondere angesichts der digitalen Herausforderungen grundlegend verändert werden: dezentral, digital, fächerübergreifend, exzellent. Dem formulierten ländergemeinsamen Papier müssen Taten folgen.
  7. Angesichts des Lehrermangels sollte der Mut zu Quereinsteigern gestärkt werden. Sie können bei sonstiger Eignung wichtige Aspekte außerschulischen Lebens in die Schule integrieren. Um den Quereinstieg zu vereinfachen, muss es möglich sein, mit nur einem Fach zu beginnen.
  8. Ohne einheitlichere Zuständigkeit lässt sich auf Dauer keine gute Schule organisieren. Schulträgerschaft und Personalhoheit gehören eigentlich in eine Hand. Für die Stadtstaaten gilt das bereits. Eine Übernahme der Lehrkräfte durch kommunale Gebietskörperschaften würde aber die Lehrerversorgung in unterversorgten Gebieten unmöglich machen. Eine Übernahme der Schulträgerschaften durch die Länder würde den ganzen Apparat zu sehr aufblähen und wäre zudem nicht durchsetzbar. Als realistische Lösung wird empfohlen, dass die Länder die Personalhoheit für alle in der Schule arbeitenden Professionen übernehmen (Lehrkräfte, Verwaltungspersonal einschließlich Schulmanager, IT-Betreuer, Sozialpädagogen, Erzieher, Sekretariat etc.). So kann Schule ganzheitlich organisiert werden. Die Kommunen würden zu Sachaufwands-trägern. Gelingen kann das aber nur, wenn die Schulleitungen eine echte Vorgesetztenrolle bekommen.
  9. Insbesondere an größeren Schulen müssen viele neue und nicht im engen Sinne pädagogische Aufgaben an Personen mit anderen Ausbildungen und Kompetenzen übertragen werden. Schulen brauchen Verwaltungsleiter oder Schulmanager, wie große soziale Einrichtungen sie längst haben. Insbesondere für den IT-Bereich braucht es CIOs oder anders zu bezeichnende IT- und Internetverantwortliche. Schülerinnen und Schüler können als Mitverantwortliche in die Organisation der Schule einbezogen werden. Lehrerinnen und Lehrer sollten – wie die meisten anderen Berufe auch – eine Arbeitszeit nach geleisteten Arbeitsstunden bekommen. Dazu gehört dann auch eine Anwesenheitsverpflichtung. Die enge Kopplung an die gegebenen Unterrichtsstunden müsste aufgehoben werden.
  10. Schule soll das Zentrum eines vernetzten Bildungsökosystems sein. Zu diesem System gehören auf Augenhöhe: die Kinder- und Jugendarbeit, die Bibliotheken, der Sport, die Musikschulen, Schülerlabore und andere mehr. So entsteht integriertes Lernen. Schule kann durch Öffnung Mittelpunkt der Koordination eines Wochentags junger Menschen werden, mindestens aber einen Beitrag zur Vernetzung leisten. Dies gilt insbesondere für den ländlichen Raum. Umgekehrt müssen sich die anderen lernbegleitenden Institutionen der Schule gegenüber öffnen.
Thomas de Maizière (Foto: Deutsche Telekom Stiftung)