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fair childhood

Straßentheater des Lebens

Ein Projekt gegen Kinderarbeit umzusetzen, dauert mitunter Jahre. Doch manchmal zeigen sich die Erfolge der GEW-Stiftung fair childhood ganz schnell. Etwa bei deren Partner im -ostafrikanischen Burundi.

Viele Eltern in Burundi schicken ihre Kinder zur Arbeit und setzen sie als Miternährer ein. Die Heranwachsenden schuften unter anderem in Ziegeleien. (Foto: IMAGO/blickwinkel)

Es ist das erste Theaterstück ihres Lebens – und vielleicht sogar das wichtigste. Zuvor im Unterricht eingeübt, spielen die Schülerinnen und Schüler auf den Straßen ihrer Dörfer nach, was für viele Gleichaltrige bitterer Alltag ist: Lehmziegel in der Hitze zu formen. In Küchen, Fischfabriken oder auf dem Reisfeld zu schuften. Sie schlüpfen auch in die Rollen von Lehrkräften, Eltern und Bürgermeistern, die mal engagiert, mal hilflos, mal verzweifelt sind. Und oft auch gleichgültig.

Bis zu 100 Leute schauten dem Straßentheater der Kinder jedes Mal zu, sagt Rémy Nsengiyumva. Viele verstünden erst danach richtig, wie es den Kindern aus ihren Familien, Schulen, Gemeinden Tag für Tag ergeht, erklärt der Präsident der Lehrergewerkschaft Syndicat Libre des Travailleurs de l‘Enseignement du Burundi, kurz STEB. Denn: „Die Kinder imitieren in ihrem Rollenspiel exakt, was vor Ort passiert.“ Was ihre Bildung behindert – und oft auch ganz verhindert.

„100 Kinder in einem Klassenraum – das haben wir oft.“ (Rémy Nsengiyumva)

In der Region Rukaramu am Tanganjikasee, dem zweitgrößten See in Afrika, ist das vor allem die Armut. Eltern schicken ihre Kinder als Miternährer zur Arbeit, Jugendliche sehen in einem Schulabschluss keinen Sinn, da es für sie auch danach keine Jobs gibt. Kinderarbeit ist in Burundi für alle, die jünger als 15 Jahre sind, zwar verboten – „aber die Umsetzung des Verbots ist eine andere Sache“, so der STEB-Chef. Kinder gehen auch nicht zur Schule, weil viele Familien sich immer wieder ein neues Zuhause suchen müssen, sobald der See über seine Ufer tritt. Zudem gibt es viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer und viel zu viele unattraktive Schulen: „100 Kinder in einem Klassenraum – das haben wir oft.“

Drop-outs kommen zurück

STEB habe sich diese Region mit ihren rund 11.000 Haushalten 2021 auch deswegen als Projektgebiet für eine kinderarbeitsfreie Zone ausgesucht, weil die Bildungsrate hier besonders niedrig ist, sagt Nsengiyumva – und das nicht einmal wegen der Corona-Krise: In Burundi wurden die Schulen in der Pandemie nicht geschlossen. Von den rund 7.000 schulpflichtigen Kindern waren 926 entweder Drop-outs oder hatten nie eine Schule besucht, ergab eine Umfrage von STEB im Frühjahr 2021 – „wir sind hierfür von Haus zu Haus gegangen“.

Heute nimmt jedes vierte Kind, das die Lehrkräfte noch vor einem Jahr für die Schule verloren glaubten, wieder am Unterricht teil. Bereits ein halbes Jahr nach der Umfrage, im Herbst 2021, hatten sich 223 Drop-outs wieder in einer der sechs Schulen vor Ort eingeschrieben. „Das ist ein unglaublicher Erfolg“, sagt Samuel Grumiau von der Bildungsinternationale; er koordiniert von Brüssel aus die Projekte der Stiftung fair childhood. „Die Gewerkschaft hat noch an Glaubwürdigkeit gewonnen – einfach dadurch, wie sie das Problem angepackt hat.“

„Bei aller Sensibilisierung wird es weiterhin Kinder geben, die nicht zur Schule kommen können, weil den Eltern schlichtweg das Geld für Stifte und Hefte fehlt.“

Denn STEB hat nicht nur 30 Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch 22 Väter, Mütter, religiöse Führer, Schuldirektoren und weitere Entscheidungsträger aus den Dörfern zu community mobilizers gegen Kinderarbeit ausgebildet und sie für die Not der Kinder sensibilisiert.

Er wisse, dass die Hilfe von STEB nicht alle Kinder und Jugendlichen erreicht, sagt Nsengiyumva – zu groß ist die Armut mancher Familien. „Bei aller Sensibilisierung wird es weiterhin Kinder geben, die nicht zur Schule kommen können, weil den Eltern schlichtweg das Geld für Stifte und Hefte fehlt.“ Das, fügt er hinzu, „ist für mich am schwersten zu ertragen“.