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Flüchtlinge an der Berufsschule – das Modellprojekt in Nürnberg

“Flüchtlinge an der Berufsschule – das Modellprojekt in Nürnberg”, so lautete der Titel des Forums 6, zu dem die GEW Dr. Doris Weber (Berufliche Schule 5, Nürnberg) gewinnen konnte. Die B5 – so die Kurzbezeichnung dieser beruflichen Schule - ist das Kompetenzzentrum für Ausbildung und Weiterbildung der Stadt Nürnberg in den Bereichen Modeschulen Nürnberg, Textilreiniger/-in, Florist/-in, Friseur/-in, Berufsvorbereitung und Sprachintegration. An dieser Schule arbeitet Dr. Doris Weber seit 2010 und in diesem Jahr wurde dort auch ein Modellprojekt zur Sprachintegration für ganz Bayern etabliert.

Bild: Dr. Doris Weber

Im Anfangsjahr waren es 6 Vollzeitklassen; mit den inzwischen 22 Vollzeit- und 2 Teilzeit-Klassen im ersten Jahr. Damit wird in Nürnberg ca. 90% der Schulpflichtigen einen Platz angeboten, bayernweit sind es lediglich ca. 30%. Die Schülerschaft setzt sich zusammen aus minderjährigen begleiteten und unbegleiteten minderjährigen sowie aus volljährigen Flüchtlingen und aus europäischen Zuwanderern aus insgesamt rund 33 Nationalitäten. Dabei ist der Anteil derer, die aus Irak (4%, 2014/15%, 2015), Syrien (14% /24%)  und Äthiopien (7% /26%) in diesem Jahr deutlich angestiegen. Dass hier das Miteinander der Kulturen recht problemlos klappt, schreibt die Lernberater- und Lernbegleiterin neben anderen Faktoren auch der konsequenten Vermittlung von Menschenrechten mit Beginn der Integrationsmaßnahmen zu.

Gleichwohl fehlt es bei nur einer Sozialpädagogin für die ganzen Klassen an ausreichender Unterstützungsmöglichkeit für die begleiteten Minderjährigen während die unbegleiteten diesbezüglich recht gut betreut sind. Gelebte „Willkommenskultur“ würde daher u. a. eine bessere personelle Ausstattung bereitstellen, als es zurzeit der Fall ist, so eine Forderung von Dr. D. Weber. Positiv wertet sie hingegen die Tatsache, dass in Bayern Jugendliche bis zum Alter von 21 schulpflichtig sind (in RLP nur bis 18) und theoretisch sogar bis 25 Jahren in die Berufsschule gehen können, letzteres jedoch sei -obwohl wünschenswert- aus Kapazitätsgründen nicht durchführbar.

Zur Einstufung der Jugendlichen nach Sprachniveaus werden zu Beginn Tests durchgeführt, wobei es besonders schwer ist, bei denjenigen, die nichts schreiben herauszufinden, wer Analphabet ist; hier bedient man sich dann bestimmter mündlicher Techniken. Seit diesem Schuljahr sind die Alphabetisierungsmaßnahmen jedoch ausgelagert; die Jugendlichen kommen in diesen Fällen dann nur einen Tag pro Woche in die berufsorientierenden Kurse der BS und haben nach diesem Schuljahr die Möglichkeit, die zweijährige Berufsvorbereitungsklassen zu besuchen. Ob dieser Versuch, ein drittes Schuljahr zu ermöglichen, Erfolge zeitigt, muss sich noch herausstellen.

Die Klassengröße kann flexibel gestaltet werden, empfohlen sind 16 bis 20 SchülerInnen, wobei jedoch eine Klasse ab 12 eingerichtet werden kann, und das nun sogar im laufenden Schuljahr. Das ist auch sinnvoll, denn die Jugendlichen kommen ja auch nicht alle zu Schuljahresbeginn an.

Inhaltlich wird die Sprachvermittlung stets an berufliche (s. Praxisunterricht) oder kulturelle (z. B. Feiertage, Essgewohnheiten, …) Themen angekoppelt. Neben Deutsch und den schon erwähnten Menschenrechtsthemen stehen auch Sport, Mathe, Schülerbegegnungen, Stadtbegehungen, Firmenbesichtigungen und Besuche bei Behörden oder der Polizei auf dem Programm. Ein besonderes Problem stellt allerdings der Mathematikunterricht dar: Da die Klassen nach den Sprachfähigkeiten eingeteilt sind, jedoch auch große Unterschiede bei den Rechenfähigkeiten auftreten, gibt es hier einen besonderen Förderbedarf. Zusätzlich fehlt es grundsätzlich an passendem Unterrichtsmaterial, das daher von den Lehrkräften oft selbst angefertigt werden muss, das nicht nur für den Mathematikunterricht.

An einem Tag pro Woche besuchen die SchülerInnen an verschiedenen beruflichen Schulen einen Praxisunterricht, in dem sie verschiedene Berufe kennenlernen können (Bereiche Friseur, Textil, Holz, Hauswirtschaft, Floristik, Druck/Foto). Nach neun Wochen wechselt jeweils der Praxisbereich. An dieser Stelle arbeiten Deutsch- und Praxislehrkräfte eng miteinander zusammen, damit die entsprechenden Fachvokabularien auch vorliegen bzw. vertieft angewendet werden können. So kann das Erlernen der Sprache mit dem Erlebten direkt verknüpft werden und ist effizienter. (Als Beispiel für die Organisation des Praxisunterrichtes siehe: https://www.nuernberg.de/imperia/md/berufsschule_5/dokumente/sprachintegration/praxiswechsel_2015_16.pdf)

Im 2.Schulhalbjahr des 2. Jahres sollen die Schüler/innen dann über den Träger in ein Betriebliches Praktikum vermittelt werden. „Dieses 2. Schulhaljahr sehen wir sehr kritisch“, sagt Dr. Doris Weber, „(denn) die enge Bindung an die Schule geht verloren. Die Träger arbeiten fast ausschließlich mit Honorarkräften, so dass die Klassen sehr häufig wechselndes Personal vor sich haben. Das ist für unsere sehr bindungsbedürftige Klientel kontraproduktiv.“ Für diese wäre es besser, wenn sie die vollen 2 Jahre in der Schule hätten, um die für eine berufliche Ausbildung erforderliche Sprachsicherheit zu erlangen. Ein solcher Erfolg in einer beruflichen Ausbildung ist bei vielen MigrantInnen – gleich welcher Herkunft – stark gefährdet, wie die Erfahrungen zeigen. Die zwar vorhandenen Unterstützungsangebote der Arbeitsagentur, die für die Übergangs- und Ausbildungssituation gedacht sind, sind erstens nicht ausreichend vorhanden und zweitens ein „Rumdoktern am Problem des fehlenden dritten Jahres“, so Dr. Doris Weber. Nach dem zweiten Jahr bekommen die SchülerInnen dann nach ausreichender Anwesenheit und bei entsprechenden Leistungen einen Mittelschulabschluss (=HS-Abschluss) oder auch einen qualifizierten HS-Abschluss. Beide münden dann im günstigsten Fall in eine Berufsausbildung, was durch das abgeleistete Praktikum zum Teil relativ gut gelingt. Allerdings sind damit die Probleme der Jugendlichen noch nicht zuende, wie oben schon angedeutet.

Im weiteren Verlauf des Vortrags weißt Dr. Doris Weber auf verschiedene Problemfelder hin, die sich einerseits im Zusammenhang mit den Lehrkräfte ergeben (fehlende Qualifizierung als DaF/Z Lehrkräfte, fehlende Anerkennung von DaF/Z als eigenständiges Lehrfach, befristete und damit unsichere Beschäftigungsverhältnisse, ungleiche Bezahlung der Lehrkräfte, fehlende Übernahmeperspektiven, fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, unsachgemäße Besetzung von Funktionsstellen, Überbelastung durch fehlendes Unterrichtsmaterial und Personalmangel,…) und andererseits mit den MigrantInnen („Klassenbildung“ durch Ungleichbehandlungen auf verschiedenen Ebenen, so z. B. Ungleichbehandlung durch Alter, Familienstand und Herkunft bei der Betreuung, bei der Unterbringung; Ungleichbehandlung durch den Aufenthaltsstatus, durch eine unangebrachte Nützlichkeitsdebatte etwa im Zusammenhang mit der Fachkräftemangel und -gewinnung, …).

„Aus dem hier Vorgestellten ergeben sich (entsprechend) zahlreiche Forderungen, deren Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird“, so lautete das abschließende Resümee der Referentin.

Während einer Pause und im Anschluss an die abschließende Diskussion wurden von Dr. Doris Weber noch verschiedene Unterrichtshilfen wie beispielhafte Arbeitsblätter oder Bücher zur Ansicht ausgestellt.