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Mehr Geld und Leseprogramme!

Jedes vierte Kind in Deutschland kann am Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen – Tendenz steigend. Was sind die Ursachen? Ein Kommentar von Anja Bensinger-Stolze und Ulf Rödde.

Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann einer Studie zufolge nicht richtig lesen. Was sind die Ursachen? Ein Kommentar.

Schon vor fünf Jahren, der vorletzten IGLU-Erhebung, war der Anteil der Kinder, die nicht ausreichend lesen können, mit 19 Prozent viel zu hoch. Die aktuellen Zahlen lassen jedoch alle Alarmglocken schrillen: Lesekompetenz ist die wichtigste Grundlage für eine erfolgreiche Schullaufbahn der Kinder sowie deren spätere Berufs- und Lebenschancen. Deutschland steuert auf ein gigantisches gesellschaftliches Problem zu, wenn ein Viertel der jungen Menschen nicht mehr Fuß fassen kann. Wie konnte es zu dieser Situation kommen?

Die Pandemie hat die Lage verschärft, sicher, aber die Ursachen für die Misere an den Grundschulen liegen tiefer.

Wer die Coronakrise als Argument für diese Entwicklung ins Feld führt, springt viel zu kurz. Die Pandemie hat die Lage verschärft, sicher, aber die Ursachen für die Misere an den Grundschulen liegen tiefer. Das gesamte Bildungssystem in Deutschland ist seit Jahrzehnten dramatisch unterfinanziert. In allen Bildungsbereichen, insbesondere in Kitas und den Schulen, herrscht ein riesiger Fachkräftemangel. Darüber hinaus hat die Politik gerade die Grundschulen in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Sie wiegte sich in Sicherheit. Denn die Grundschulkinder erzielten auch nach dem PISA-Schock 2001 - die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland schnitten bei der internationalen Schulstudie deutlich schlechter ab als erwartet - bis in die 2010er-Jahre hinein durchaus gute Ergebnisse. Also sah die Politik keinen Handlungsbedarf.

Grundschullehrkräfte wurden weiterhin schlechter als Lehrerinnen und Lehrer an anderen Schularten bezahlt. An der Ausstattung und Sanierung der Schulen wurde gespart. Die Folge: Immer weniger junge Menschen wollten an dieser Schulform unterrichten, seit Jahren können weit über 1.000 Schulleitungsstellen an Grundschulen nicht besetzt werden. An keiner anderen Schulart ist der Lehrkräftemangel so dramatisch wie an den Grundschulen. Zudem investiert Deutschland im Durchschnitt der Europäischen Union besonders wenig Mittel in die Leseförderung. Kein Wunder, dass die Lesemotivation der Kinder sinkt - und damit auch die Leseleistungen immer schlechter werden. Insbesondere hat die Politik versäumt, Kinder aus armen und benachteiligten Haushalten zu unterstützen. In der Summe sind diese Vernachlässigungen unverantwortlich: Denn an den Kitas – hier fehlen Plätze im sechsstelligen Bereich – und den Grundschulen wird der Grundstein für eine umfassende ganzheitliche Entwicklung der Kinder gelegt. Was in diesem Alter nicht erreicht wird, ist später kaum aufzuholen – und zieht enorme gesellschaftliche Kosten nach sich.

Was ist zu tun?

Es muss deutlich mehr Geld in die Grundschulen und gezielte Leseförderprogramme fließen, zusätzlich müssen die Ganztagsangebote ausgebaut werden. Sonst können die Grundschulen ihrem Anspruch, eine Schule für alle Kinder zu sein und Bildungsungerechtigkeiten abzubauen, immer weniger gerecht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht das Land dringend mehr gut aus- und fortgebildete Lehrkräfte, die auf das Lehren unter schwierigen sozialen Bedingungen vorbereitet sind und mit heterogenen Lerngruppen arbeiten können. Konzepte der Leseförderung müssen einen festen Platz in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte bekommen. Die Leseförderprogramme müssen besonders auf benachteiligte Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sein. Zudem sind gut ausgestattete Schulbibliotheken und eine bessere Beratung der Eltern notwendig. Um mehr Lehrkräfte zu gewinnen, hat die GEW ein „15 Punkte-Programm gegen den Lehrkräftemangel“ vorgelegt. Sie mahnt unter anderem die Bundesländer, die Grundschullehrkräfte immer noch schlechter entlohnen als Lehrerinnen und Lehrer an anderen Schulformen, endlich ihre Blockadehaltung aufzugeben und an Grundschulen besser zu zahlen.

Die IGLU-Ergebnisse machen noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, dass das „Startchancenprogramm“ für benachteiligte Schulen der Bundesregierung endlich kommt

Die Grundschulen brauchen Unterstützung, um die zunehmende soziale Ungleichheit bei den Schülerinnen und Schülern abzubauen. Diese muss von Schulsozialarbeit und Schulpsychologischem Dienst flankiert werden. Die IGLU-Ergebnisse machen noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, dass das „Startchancenprogramm“ für benachteiligte Schulen der Bundesregierung endlich kommt. Es ist völlig unverständlich, dass das Programm immer noch nicht in trockenen Tüchern ist. Obwohl es bereits auf das Schuljahr 2024/25 verschoben wurde, stehen die Mittel immer noch unter Haushaltsvorbehalt. Dieser muss unbedingt ausgeräumt werden. Außerdem muss die geplante Summe von einer Milliarde Euro deutlich aufgestockt und nach Sozialindex verteilt werden. Bund und Länder sollten sich endlich zusammenraufen: Die Zukunftschancen der Kinder dürfen nicht im Parteiengezänk zerrieben werden. Nur so kann die Bundesregierung das „Jahrzehnt der Bildungschancen“, das sie ausgerufen hat, einlösen.