Dies hat mehrere Gründe:
Erstens: Nach wie vor verdienen Grundschullehrkräfte weniger als die Lehrkräfte aller anderen Schulformen – obwohl sie bis heute das höchste Unterrichtsdeputat haben und obwohl sich die GEW schon lange für eine gleichwertige Besoldung der Lehrämter einsetzt.
Zweitens: Auch in der ersten Phase der Lehrerbildung – an der Universität – zeigt sich auf mehreren Ebenen eine ungleiche Behandlung der unterschiedlichen Lehrämter: Geht man davon aus, dass sich der Wert, den die Bildungspolitik einem Studiengang beimisst, in der Höhe der für einen Studienabschluss zu erbringenden Leistungspunkte widerspiegelt, scheint dem Land Rheinland-Pfalz die Professionalisierung seiner künftigen Grundschullehrkräfte nicht sehr wichtig zu sein:
Wieviel Leistungspunkte eine Studentin oder ein Student im Rahmen eines Studiengangs erwerben muss, ist in § 6 (3) der Landesverordnung[1] festgelegt. So ist das Grundschullehramt das einzige Lehramt, das im Master nur 60 universitär zu erwerbende Leistungspunkte[2] umfasst (zum Vergleich: in Hamburg, Niedersachsen, NRW, Thüringen umfasst der Master Grundschulbildung 120 universitäre Leistungspunkte); bei allen anderen Lehrämtern sind es 90 (Förderschulen und Reaschulen Plus) bzw. 120 Leistungspunkte (Gymnasien und Berufsschulen). Diese Festlegungen wirken sich direkt auf die personelle Ausstattung im Studiengang aus.
Dass nicht nur das Grundschullehramt, dieses aber in besonderem Maße, auf diese Weise „kleingerechnet“ wird, zeigt sich im Vergleich mit nicht-lehramtsbezogenen Studiengängen. Besonders deutlich und in exemplarischer Weise wird diese Marginalsierung der Lehrämter am Beispiel der Betreuung von Masterarbeiten sichtbar:
Für die Betreuung von Masterarbeiten in nicht-lehramtsbezogenen Studiengängen wird generell ein höherer curricularer Anteil (kurz: CA) angerechnet als für die Betreuung von Masterarbeiten in Lehramtsstudiengängen. Im Detail stellen sich die Verhältnisse folgendermaßen dar: Für die Betreuung einer Masterarbeit in den Geisteswissenschaften wird ein CA von 0,3 angerechnet – eine Masterarbeit in den Naturwissenschaften scheint demgegenüber mit einem CA von 0,6 doppelt so viel „wert“ zu sein. Masterarbeiten in Lehrämtern sind indes – folgt man den Zahlen – weniger „wert“. So beträgt im Gymnasial- und Berufsschullehramt der CA für die Betreuung einer Masterarbeit noch 0,2 – im Grundschullehramt (sowie im Förder- und Realschullehramt) wird für die Betreuung einer Masterarbeit nur mehr ein CA von 0,16 angerechnet. Das heißt, dass Masterarbeiten, die im Studiengang Grundschulbildung geschrieben werden, mit dem mit Abstand kleinsten CA versehen sind.
Die hier eventuell etwas abstrakt erscheinenden Zahlen zeigen sich konkret in einer wesentlich schlechteren personellen und finanziellen Ausstattung (verglichen mit anderen Studiengängen). Diese massive Benachteiligung des Grundschullehramtes ist weder gerechtfertigt, noch hinzunehmen, denn die Betreuung einer Masterarbeit in der Grundschulbildung ist genauso zeitintensiv wie die Betreuung von Masterarbeiten in anderen Studiengängen.
Drittens: Da die Masterarbeiten im Grundschullehramt nur mit einem verschwindend kleinen CA von 0,16 angerechnet werden, müssen in der Folge die Dozent*innen der Grundschulbildung doppelt so viele Masterabeiten betreuen und begutachten wie Dozent*innen der Nicht-Lehramtsstudiengänge in den Geisteswissenschaften – bzw. fast viermal so viele wie Dozierende der Nicht-Lehramtsstudiengänge in den Naturwissenschaften. Dieser Faktor spiegelt sich entsprechend in der Personalausstattung der Studiengänge wider und wirkt sich auf das gesamte Studium aus.
- Studierenden des Grundschullehramtes wird insgesamt (und nicht nur hinsichtlich der Masterarbeiten) ein sehr viel geringerer Betreuungsfaktor im Vergleich zu anderen, insbesondere Nicht-Lehramtsstudiengängen zugebilligt.
- Für die Dozierenden bedeutet es, dass sie sowohl am Campus Koblenz als auch am Campus Landau mit jeweils nur drei Professuren und einer befristeten Juniorprofessur für ca. 1500 Studierende in den verpflichtenden Modulen zuständig sind. Das entspricht einer Betreuungsrelation von 1 Professur zu ca. 370 Studierenden. Universitäre Qualitätskriterien, die an die Arbeit von Professor*innen angelegt werden, berücksichtigen allerdings weder die Anzahl der Studierenden im Studiengang noch die Anzahl der betreuten Masterarbeiten. Stattdessen fokussieren sie eingeworbene Drittmittel für Forschungsprojekte oder peer-reviewte Beiträge, die am besten in internationalen Journals erscheinen. Was für die Professor*innen gilt, gilt genauso für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Auch für Nachwuchswissenschaftlerinnen, die gerade ihre Doktorarbeit schreiben, oder für promovierte Wissenschaftlerinnen, die an ihrer Habilitation arbeiten, ist ein hohes Lehr- und Prüfungsdeputat Alltag.
Viertens: Die Gründe für das „Kleinrechnen“ der Grundschulbildung liegen auf der Hand: Das Grundschullehramt ist der größte Studiengang der Universität – und er soll möglichst viele Studierende aufnehmen und dabei wenig kosten. Denn davon, dass das Grundschullehramt das größte Lehramt ist, profitiert die Universität in Zeiten des Hochschulpaktes sehr.
Der Studiengang trägt in hohem Maße zur Finanzierung der Universität bei, denn die Universität erhält für jedes Hochschulerstsemester aus dem Hochschulpakt Geld: ca. 14.000 Euro in den Geisteswissenschaften und sogar ca. 22.000 Euro in den Naturwissenschaften.
Im Studienjahr 2017/2018 wurden allein in Koblenz ca. 550 Grundschullehramtsstudierende
zugelassen, obwohl der Studiengang Grundschulbildung am Campus Koblenz bei der derzeitigen Ausstattung mit Professuren laut Erstakkreditierung für maximal 360 Studierende im Jahr konzipiert worden ist.
Fazit:
Die Grundschulkinder, die langfristig die Zukunft des Landes Rheinland-Pfalz und somit unser aller Zukunft gestalten werden, verdienen hervorragend qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer. Dazu bedarf es einer angemessenen Ausstattung. Ein notwendiger erster Schritt zur Beseitigung der skandalösen Ungleichbehandlung der Lehrämter ist die Anpassung der curricularen Anteile für Masterarbeiten an die nicht-lehramtsbezogenen Studiengänge bei einer Gleichbehandlung von geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Abschlussarbeiten. Denn es kann nicht sein, dass der größte Studiengang der Universität, die Grundschulbildung, wesentlich zur Finanzierung der Universtiät beiträgt und zugleich systematisch „kleingerechnet“ wird. Für die Entwicklung von Professionlität in der Grundschullehrer*innenbildung ist die geringe Ausstattung des Studiengangs fatal. Auch wenn die Grundschulbildung sowohl am Campus Landau als auch am Campus Koblenz unter den skizzierten Arbeitsbedingungen profiliert und professionalisiert wurde, lässt sich diese Qualität – weder bei gleichbleibenden, noch bei wachsenden Studierendenzahlen unter diesen Arbeitsbedingungen weiter aufrecht erhalten. Dass der Bedarf an Grundschulllehrkräften bundesweit bis 2025 steigen wird, zeigen Ergebnisse der Bertelsmann Stiftung, die bis dahin einen Bedarf von ca. 24.000 Grundschullehrkräften erwartet.
Stellt man abschließend die Frage, welche Bedeutung das Grundschullehramt und die Grundschullehrer*innenbildung für die Bildungspolitik 100 Jahre nach der Einführung der allgemeinen Grundschule haben, lässt sich – insbesondere angesichts des steigenden Bedarfs an professionell gebildeten Grundschullehrkräften – zusammenfassend festhalten: eine erstaunlich geringe!
Vor diesem Hintergrund ist die von der Landesregierung beschlossene Trennung der Universität Koblenz-Landau zum 1. Oktober 2022 und die damit verbundene, notwendige Neustrukturierung der Standorte eine einmalige Chance, die Grundschulbildung angemessen auszustatten, um die weitere wissenschaftliche Profilierung dieses gesellschaftlich hoch relevanten Studiengangs zu unterstützen.
[1] Landesverordnung über die Anerkennung von Hochschulprüfungen lehramtsbezogener Bachelor- und Masterstudiengänge als Erste Staatsprüfung für Lehrämter vom 12. September 2007
[2] Die geringen Leistungspunkte im Master führen dazu, dass Studierende der Grundschulbildung das Studium mit 240 Leistungspunkten abschließen. Für ein vollständiges Lehramtsstudium sind 300 Leistungspunkte nötig. Sie verlassen die Universität somit ohne vollständigen Masterabschluss. Die fehlenden 60 (!) Leistungspunkte erwerben sie nach 12 Monaten im Vorbereitungsdienst am Studienseminar. Der 240-Punkte-Abschluss hat auch zur Konsequenz, dass Studierende der Grundschulpädagogik sich nicht direkt nach dem Studium auf Promotionsstipendien bei gängigen Stiftungen bewerben können, da hierfür ein vollständiger 300-Punkte-Master notwendig ist.
Beitrag von: Prof’in Dr. Daniela Merklinger & Prof.´in Heike de Boer, Grundschulpädagogik (Koblenz)