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„Zusammenarbeit der Schularten intensivieren“

Günter Helfrich, Redakteur der GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit Hans Beckmann, Staatsekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur.

Lieber Herr Beckmann, bei unserem letzten (und ersten) Gespräch haben wir Sie unseren Mitgliedern als neuen Schulstaatssekretär vorgestellt. Jetzt ist die Legislaturperiode fast vorbei. Wie haben die Jahre im Amt Sie verändert?

Es sind jetzt knapp vier Jahre, die ich Staatssekretär bin, und die Zeit vergeht in der Tat wie im Fluge. Ich konnte mir am Anfang echt nicht vorstellen, wie zeitintensiv diese Tätigkeit ist. Das ist die größte Veränderung. Ich wünschte mir manchmal schon mehr Zeit für meine sozialen Kontakte und meine privaten Hobbys wie zum Beispiel meine Leidenschaft für das Kochen.
Aber ich frage mich natürlich auch, ob ich mich in meiner Persönlichkeit verändert habe, worauf Sie ja abzielen mit der Frage. Da bin ich fest davon überzeugt, dass ich der „Alte“ geblieben bin; mit dem neuen Amt bin ich ja kein anderer Mensch geworden. Im Übrigen würde mir meine kritische Begleiterin, meine Ehefrau, schon sagen, wenn ich mich negativ verändert hätte.

Nach meinem Eindruck bezahlen Politiker ihre Macht und ihre Privilegien teuer, indem sie für alles Mögliche verantwortlich gemacht werden, wofür sie gar nichts können, und manchmal sogar zur Zielscheibe diffuser Aggressionen werden. In welchem Maße zehrt das Amt?

Man macht viele positive Erfahrungen, aber natürlich auch negative. Zum Glück ist es „nur“ bei verbalen Angriffen geblieben – in Schrift und in Wort. Und ich muss schon sagen: Das geht manchmal wirklich unter die Haut, auch unter die Gürtellinie. Da steckt man das eine oder andere nicht so einfach weg. Aber man muss lernen, auch bei unsachlichen Angriffen sachlich zu bleiben und nach Lösungen zu suchen.

Was ist Ihnen in Ihrer Amtszeit gelungen, was möchten Sie in Zukunft angehen?

Schule ist ja etwas Dynamisches, Schule ist immer in Bewegung. Ich könnte jetzt eine ganze Liste von Themen nennen, die wir in den vergangenen Jahren angegangen sind. Um nur einige herauszugreifen:
Wir haben die Schulstrukturreform zu einem Abschluss gebracht. Die ersten Schülerinnen und Schüler haben die Realschulen plus bereits verlassen. Wir haben in meiner Amtszeit weiterhin eine Expertenkommission zur Weiterentwicklung des BBS-Systems eingerichtet, die uns zwölf Empfehlungen gegeben hat. Da sind wir momentan dabei, diese umzusetzen.
Wir haben eine Schulgesetzänderung auf den Weg gebracht im Hinblick auf das vorbehaltlose Wahlrecht der Eltern von Kindern mit Behinderungen. Diese Eltern können wählen, ob ihre Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf Förder- oder Regelschulen als Förderort besuchen.
Wichtig ist auch ganz aktuell unser neues Konzept zur Berufs- und Studienorientierung.
Intensiv beschäftigt uns derzeit und sicher in den kommenden Jahren natürlich auch das Thema Integration der Flüchtlingskinder. Wir haben dazu im Februar 2015 unser Konzept zur Sprachförderung vorgestellt.

Darauf kommen wir ja nachher noch zu sprechen.

Für die Zukunft – danach fragen Sie ja auch – ist mir die Intensivierung der Zusammenarbeit der Schularten sehr wichtig. In unserem durchlässigen und aufstiegsorientierten Schulsystem ist die Kooperation ganz wichtig. Außerdem müssen und werden wir die Stärken der Realschulen plus noch mehr in den Vordergrund stellen.

Wie nehmen Sie eigentlich die Stimmung an den Schulen wahr bzw. was bekommen Sie davon mit?

Ich komme ja als Lehrer aus dem Schulsystem, habe an drei Schularten unterrichtet, war viele Jahre in der Schulaufsicht und habe ganz viele Bekannte und auch Verwandte, die im Schuldienst sind. Mein Bruder ist BBS-Lehrer, mein Sohn unterrichtet an einem Gymnasium. Alle berichten mir immer vollkommen unabhängig von meinem Amt über ihre Erlebnisse in den Schulen. Das ist natürlich sehr hilfreich und wichtig für mich, dabei ungefiltert Informationen zu bekommen. Von daher habe ich eine breite Informationsbasis und wirklich nicht den Eindruck, dass die Stimmung schlecht ist.

Sie sind für mich der Typus des „Kümmerers“, also eines Spitzenpolitikers, der sich auch Einzelproblemen annimmt, die direkt an ihn herangetragen werden. Nach meinen jüngsten Erfahrungen – nicht mit Ihnen! – bezweifle ich allerdings, ob das den Betroffenen wirklich hilft. Werden nicht sogar Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können, weil die mittlere Führungsebene ja Entscheidungen revidieren müsste?

Es freut mich, dass Sie mich als Kümmerer bezeichnen. Das gehört für mich auf jeden Fall zu meinen Aufgaben dazu. Wenn es dann um die Kooperation mit der ADD geht, ist es für mich nicht das Problem, dass gegebenenfalls eine Entscheidung revidiert wird, sondern ganz im Gegenteil: Es geht darum, eine gute Entscheidung für die Betroffenen zu finden. Das ist nach meiner Erfahrung möglich, wenn man die Beteiligten an einen Tisch holt. Natürlich ist nicht in jedem Fall eine Lösung möglich, aber in ganz vielen Fällen. Entscheidend ist dabei, dass dies nicht per „Ordre de Mufti“, sondern im Gespräch geschieht. Da hilft mir sicherlich, viele Jahre in der ADD gearbeitet zu haben und dort sehr viele Personen zu kennen, zu denen ich nach wie vor ein vertrauensvolles Verhältnis habe.

In meinem Interview mit Ministerin Vera Reiß in dieser Ausgabe frage ich sie u.a. nach den Ganztagsschulen und der Schulstrukturreform. Das waren keine leichten Projekte, aber irgendwie machbare Aufgaben. Jetzt haben wir zwei Themen auf der Agenda, die nach meiner Einschätzung viel schwerer zu bewältigen sind: die Inklusion und die Flüchtlingsfrage. Wo setzen Sie dabei an?

Die Fragen Inklusion und Flüchtlinge sind in der Tat zwei Bereiche, die die gesamte Gesellschaft fordern und nicht nur die Schulen. Bezüglich der Inklusion haben wir hier in Rheinland-Pfalz mit unseren inzwischen 277 Schwerpunktschulen eine gute Grundlage für das gemeinsame Lernen. Wie oben schon ausgeführt, haben wir unser Schulgesetz mit der Wahloption geändert. Ganz aktuell wurde vor wenigen Wochen das Gesetz zur Stärkung der inklusiven Kompetenz in Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften auf den Weg gebracht. Dieses Thema muss stärker sowohl in die erste als auch in die zweite Phase der Ausbildung von Lehrkräften einfließen. Wo Bedarf besteht, müssen natürlich weiter Schwerpunktschulen ausgebaut werden.
Auch die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft gehört zum großen Thema Inklusion. Wir haben die Deutschintensivkurse massiv ausgebaut, weil die Sprache bekanntlich der Schlüssel zur Integration ist. Zu Beginn des laufenden Schuljahres wurde die Zahl der Deutschintensivkurse fast verdoppelt und punktuell noch weiter ausgebaut. Wir werden die Entwicklung genau im Blick behalten. Dort, wo weiterer Bedarf entsteht, müssen wir nachsteuern.

Sie waren Lehrer, dann bei der ADD, bevor Sie Abteilungsleiter im Ministerium und dann in die Landesregierung berufen wurden. Was käme bei einem Regierungswechsel auf Sie zu? Es ist wohl kaum vorstellbar, dass Sie wieder in die Schule oder in die Schulaufsicht gehen. Beliebt bei Ihren Vorgängern waren ja Ämter als Oberbürgermeister. In meiner Heimatstadt fehlen Ihrer Partei geeignete bzw. willige Kandidatinnen und Kandidaten…

Herr Helfrich, das ehrt mich, dass Sie Ludwigshafen ins Spiel bringen; da hat ja meine berufliche Laufbahn an der BBS Wirtschaft 2 begonnen. Aber, ganz ehrlich: Oberbürgermeister ist für mich keine Option. Mein Herz schlägt für die Bildungspolitik, und das wird es auch weiterhin tun. Wir werden alles daransetzen, im März ein weiteres Mandat zu bekommen und unsere Bildungspolitik fortsetzen zu können. Kommunalpolitik ist schön, das mache ich auch seit über 35 Jahren im Ehrenamt, aber hauptamtlich möchte ich weiter in der Bildungspolitik wirken.

Vielen Dank für das Gespräch. Ich bin gespannt, unter welchen Vorzeichen unser nächstes Interview stattfindet.

Foto: MBWWK