Welche Anliegen erreichen die Beschwerdestelle?
Burgard: Es gibt Fälle, in denen Kinder oder Jugendliche unzufrieden mit der Unterstützung vom Jugendamt sind. Wir haben dann die Möglichkeit, Entscheidungen über Hilfeanträge oder Hilfeplanungen noch einmal genauer zu betrachten und unter Umständen für das Kind oder den Jugendlichen eine bessere Lösung zu finden.
Oder ein Jugendlicher wechselt die Einrichtung, in der er lebte, und berichtet im Nachgang, welche zu bemängelnden Zustände in dem vorherigen Heim herrschten. Das neue Heim hat dann erst mal wenige Möglichkeiten, etwas zu tun, aber die Beschwerdestelle ist ein vertraulicher Ansprechpartner.
Lotz: Es gibt auch Fälle, in denen sich Kinder im Laufe eines Trennungs- und Scheidungsverfahrens ihrer Eltern nicht gut vertreten fühlen. Beispielsweise sind sie mit der gerichtlich getroffenen Umgangsregelung nicht einverstanden. Auch Konflikte in Schulen und Kitas über Erziehungsmaßnahmen oder Entscheidungsabläufe gehören zu Anfragen, die uns erreichen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Was ist nach Kontaktaufnahme der nächste Schritt?
Burgard: Wenn ein Kind oder Jugendlicher sich an uns wendet, nehmen wir zuerst Kontakt zu ihm auf. Wir treffen uns für ein persönliches Gespräch an einem möglichst neutralen Ort, zum Beispiel einem Café. In dieser Begegnung hören wir uns ausführlich die Sicht des Kindes oder des Jugendlichen an. Anschließend loten wir aus, wer weitere wichtige Personen sind. Das können beispielsweise die Eltern, das Jugendamt, eine Lehrkraft oder die Ansprechpartner bei der ADD sein.
In einem Fall haben sich Eltern an uns gewandt, die sich mit ihrem Kind überfordert fühlten und erfolglos Unterstützung beim Jugendamt beantragten. Der Ablehnung des Hilfeantrags gingen wir mit viel Intensität nach, zuletzt auch mit Druck über den Landrat. Im Ergebnis wurde der zuständige Mitarbeiter ausgewechselt. Vor allem bei schwierigen Entscheidungen, die das Jugendamt manchmal treffen muss, erleben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unsere Arbeit als Unterstützung, um die Kommunikation zwischen Bürgern und Amt zu verbessern.
Was macht es möglich, in Konflikten zwischen beteiligte Personen erfolgreich zu vermitteln?
Lotz: Was im Einzelfall gebraucht wird, um ein gutes Ergebnis für Kinder und Jugendliche zu bewirken, ist sehr unterschiedlich. Uns ist es in erster Linie wichtig, dass sich alle Beteiligten ernst genommen und gehört fühlen. Manchmal ist es hilfreich, alle an einen Tisch zu bringen. Die Schwierigkeit ist dabei zunächst, dass sich alle mit Vorwürfen überziehen. Unsere Aufgabe besteht dann darin, Sachverhalte, Wünsche und Bedürfnisse der Beteiligten so zu übersetzten, dass Verständnis und Entgegenkommen möglich wird.
Burgard: In einigen Fällen braucht es auch Beharrlichkeit. Da hilft es, dass wir als neutrale Stelle vom Land Rheinland-Pfalz einen gewissen Druck auf Institutionen und Einrichtungen ausüben können. Wir geben uns nicht unbedingt mit einer ersten Stellungnahme zufrieden. Wir nutzen unsere Kompetenzen - wie das Recht auf Akteneinsicht oder Zutritt - sowie unsere Möglichkeiten, Gespräche oder Besuche durchzuführen. Die Schritte sprechen wir immer im Vorfeld mit dem Hilfesuchenden ab.
Außerdem sind Eltern und ihre Kinder nicht abhängig von uns. Sich beim Jugendamt zu beschweren, von dem man eventuell noch Hilfe braucht, ist eine weitaus größere Hürde. Es macht einen Unterschied, ob ein Verein oder eine Privatperson noch mal beim Jugendamt nachfragt oder ob der Landtag das tut. Auch ein Jugendhilfeträger, eine Schule oder eine psychologische Einrichtung sind immer von unterschiedlichen Interessen geleitet und somit in Abhängigkeiten, die einer guten Lösung für das Kind im Weg stehen könnten. Unsere Unabhängigkeit hilft uns, Neutralität zu vermitteln und authentisch mit allen Beteiligten in einen offenen Dialog zu kommen. So kann auch bei Bürgern, die sich ungerecht behandelt fühlen, wieder Vertrauen in Behörden hergestellt werden. Umgekehrt melden uns Behörden zurück, dass sie unsere Arbeit als Erleichterung im Kontakt mit verunsicherten Bürgern empfinden.
Was braucht man fachlich und persönlich, um die Aufgabe der Beschwerdestelle gut zu machen?
Lotz: Zunächst ist ein juristisches Grundgerüst unverzichtbar, um kompetent in rechtlichen Fragen zu sein. Des Weiteren ist Lebenserfahrung ein unersetzlicher Wert, um Zugang zu Kindern oder Jugendlichen und ihren unterschiedlichen Lebenssituationen zu bekommen. Außerdem muss man zuhören können. Die Aufgabe ist aber auch sehr an die Person des Bürgerbauftragten gekoppelt. Gute Kontakte zu Landräten, Einrichtungsleitungen oder anderen Institutionen erleichtern ein Vermitteln im Sinne der Kinder und Jugendlichen.
Burgard: Manchmal muss man auch bereit sein, kreativ zu denken. Gerade bei verhärteten Fronten braucht es die Idee eines dritten Wegs, den alle Beteiligten gehen können.
Was müsste sich in unserem Land noch verändern, um die Zahl der Beschwerden von Kindern und Jugendlichen zu senken?
Burgard: Ich war über zwei Jahrzehnte im Jugendhilfeausschuss und habe immer wieder in Diskussionen mitbekommen, dass die Frage der Finanzierung im Vordergrund steht. Dabei fehlt es aus meiner Sicht an einem langfristigen Blick auf die Nachhaltigkeit einer Investition in Jugendhilfe. Viele Hilfen zahlen sich später aus für unsere Gesellschaft. Ein Beispiel ist der Jugendstrafvollzug. Dieser Bereich braucht viel mehr finanzielle Unterstützung, denn die Rückfallquote von Straftätern ist nach wie vor zu hoch.
Ein anderes Beispiel ist ein Erlebnis mit einem Mädchen, welches mich um Hilfe bat. Ihre Mutter hatte einen neuen Partner, der sie schlug. Das Mädchen war dankbar über die Möglichkeit, zunächst in einer Einrichtung Sicherheit zu finden. Ich half ihr beim Weg in eine Heimgruppe. Schon am nächsten Tag erklärte mir das zuständige Jugendamt in einem Telefonat, dieses Heim sei zu teuer, sie müsse in eine weiter entferntere, günstigere Einrichtung. Zum Glück konnte ich in einem Gespräch mit dem Jugendamtsleiter diesen Umzug abwenden.
Lotz: Das ist das große Dilemma der Jugendämter: Kosten im Blick zu behalten und gleichzeitig gute Hilfen zu finden. Auch unter Trägern und deren einzelnen Einrichtungen gibt es große Unterschiede in Bezug auf Qualität. Einladungen von Einrichtungen nehmen wir deshalb immer gerne an und nutzen die Offenheit von Trägern, unsere Arbeit für Kinder und Jugendliche zu unterstützen.
Mit welchen Institutionen gibt es positive Erfahrungen bei der Umsetzung von Kinderrechten?
Lotz: Grundsätzlich haben wir guten Zugang zu Schulen, übers Ministerium und die ADD. Aber auch mit Schulleitungen sind unsere Erfahrungen in der Regel gut. Wir erleben bei Lehrkräften mehr Verständnis für Kinderrechte als vor 20 Jahren.
Burgard: In den meisten großen stationären Einrichtungen hat sich viel zum Positiven verändert. Vor allem dank der Auseinandersetzung im Rahmen des „Runden Tisches Heimerziehung 50er Jahre“ sind Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche als Qualitätsmerkmal mittlerweile unverzichtbar.
Lotz: Dennoch gibt es immer noch Unterschiede im Ablauf dieser Beschwerdeverfahren. Diese dürfen beispielsweise nicht zu bürokratisch und damit unpraktisch für Kinder sein. Wir hatten im Rahmen unserer Tätigkeit auch die Möglichkeit, solche Verfahren genau zu überprüfen und bei Bedarf Nachbesserungen im Sinne der Rechte von Kindern und Jugendlichen einzufordern.
In welchem Bereich gibt es noch Nachholbedarf in Sachen Kinderrechte?
Burgard: Ich würde mir von den Kreisen unseres Landes wünschen, dass Pflegefamilien genauer in den Blick genommen werden. Aus meiner Sicht gibt es einige Pflegefamilien, die in erster Linie Geld mit der Aufgabe verdienen wollen und bei denen das Wohl der Kinder aus den Augen geraten kann.
Auch gesellschaftliche Vorurteile gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in Heimen leben, sehe ich noch als Problem. Leider finden sich Vorbehalte sogar noch bei einigen Lehrkräften, die Kinder aus Heimen zumindest durch einen negativen Blick auf Jugendhilfe stigmatisieren. So nach dem Motto: „Wir wissen ja, woher du kommst…“
Vielen Dank für das Gespräch.