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Tag der Beruflichen Bildung in Kaiserslautern: Die Rolle der Berufsschule im Dualen System stärken

Die berufliche Bildung ist eine zentrale Säule zur Stärkung und für den Ausbau von guter Arbeit in Rheinland-Pfalz. Was aber sind die Zukunftsherausforderungen? Wo muss nachgesteuert werden, damit die berufliche Bildung weiter ein Gütesiegel bleibt? Im Plenum und in vier Fachforen befassten sich TeilnehmerInnen und ReferentInnen mit diesen und anderen Fragen beim „Tag der beruflichen Bildung 2015“ in Kaiserslautern. Mitten in der überbetrieblichen Ausbildungsstätte im Berufsbildungs- und Technologiezentrum der HWK Pfalz sprachen und diskutierten sie über Stand und Perspektiven der beruflichen Bildung.

Foto: Georg Feyrer
Foto: Georg Feyrer

Berufliche Bildung wird durch die akademische Bildung bedroht

Im Namen des DGB und der GEW begrüßte die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Sabine Weiland die Gäste, u.a. Mitglieder aus dem Landtag sowie den Vorsitzenden des Landeselternbeirats. „Mehr als 1,3 Millionen junger Menschen sind ohne Berufsabschluss, obgleich unsere Gesellschaft die bestmögliche Ausbildung von Fachkräften benötigt“ so Sabine Weiland. Die Ausbildungssituation müsse verbessert, Flüchtlinge müssten qualifiziert sowie die Schulsozialarbeit und Sprachförderung erweitert werden sowie mehr Qualität gewinnen.  Da es gute berufliche Bildung auch nicht zum Nulltarif gebe, dürfe sie nicht unter dem Druck der Schuldenbremse leiden. Die duale Ausbildung habe nicht nur ein europaweites Renommee, sie lege auch ein wichtiges Fundamt für beruflichen Erfolg und ebne den Weg an die Hochschule, schloss Sabine Weiland.

Der Geschäftsführer der HWK Pfalz, Ralf Hellrich, sieht die berufliche Bildung durch die akademische Bildung bedroht. „Wir brauchen hochgebildete Menschen auch auf beruflichem Wege. Ein durchgängiges und durchlässiges Bildungssystem ermöglicht das.“ Freilich dürfe das Studium nicht diskreditiert werden, um die berufliche Bildung voranzubringen. Die überbetriebliche Ausbildung der HWK ergänze die betriebliche Ausbildung. Eine Million Euro seien in die Werkstätten der HWK in Kaiserslautern investiert worden.

„Ein fehlgeleiteter Blick auf die dualen Berufe“

Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz, Campus Remagen, aus dem Fachbereich Wirtschaft und Sozialwissenschaften widmete sich am Anfang seines Vortrags „AusBildung nach Fachkräftebedarf. Die Bildung und das liebe Geld“ dem Fachkräftemangel, sah ihn aber weniger bei den Akademikern als in den nichtakademischen Berufen.

In der Medienlandschaft werde zwar gerne von Fachkräftebedarf gesprochen, damit aber häufig auf den Fachkräftemangel bei Ingenieuren, Ärzten und Naturwissenschaftlern verwiesen. Sell: „Ein fehlgeleiteter Blick auf die dualen Berufe.“ Die Zahl der Studienanfänger steige. „Fast 60 Prozent eines Geburtenjahrgangs nehmen mittlerweile in Deutschland ein Studium auf, das sind fast doppelt so viele wie 20 Jahre zuvor.“ Auf ingenieurwissenschaftliche Studiengänge gebe es sogar einen regelrechten Run, so Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte am DIW in Berlin. Prof. Sell: „Das Studium schlägt die duale Berufsausbildung bei den Zugängen“. Von ca. 250.000 Studienanfängern 1995 sei die Zahl auf heute 500.000 gestiegen. Die Neuzugänge zu allen Sektoren beruflicher Erstausbildung sei dagegen von ca. 530.000 im Jahr 1995 auf 500.000 im Jahr 2013 gefallen. Im Jahr 2012 verließen 43.899 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen in Rheinland-Pfalz. Mehr als ein Drittel von ihnen, insgesamt 14.852, mit einer Hochschulreife. Zusammen mit den 9.040 Absolventen, die die Hochschulreife an einer Berufsbildenden Schule erlangt hätten, ergebe sich für das Jahr 2012 eine Studienberechtigtenquote von 51,7 Prozent. Dies seien 14,8 Prozentpunkte mehr als zehn Jahre zuvor.

Zu viele Studienangebote erschweren den Überblick

Die wachsende Differenzierung des Studienangebots, mit dem sich Studieninteressierte konfrontiert sehen, scheint nicht nur vorteilhaft. So werde es zunehmend schwieriger, bei der Studienwahl einen Überblick über die geeigneten Angebote zu gewinnen. Der Informations- und Orientierungsbedarf steige daher deutlich an. Im Jahr 2014 habe es fast 16.700 Studienangebote an den Hochschulen in Deutschland gegeben. Aktuell seien es mehr als 18.200. Verglichen mit dem Studienangebot in den Jahren 2005 bis 2007 liege die Zahl der Studiengänge damit um etwa 50 Prozent höher.
Insgesamt gerate so der wichtige Bereich der dualen Berufsausbildung zunehmend unter Druck: „von oben“ durch den Trend in Richtung höhere Schulabschlüsse und „Bachelorisierung“ der Berufsausbildung, „von unten“ durch eine kognitive Anforderungserhöhung in mehreren Berufsausbildungen mit „kognitiven Blockaden“ bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler. Zudem nehme die Zahl der ausbildenden Betriebe weiter ab. Nur jeder vierte Betrieb in Rheinland-Pfalz bilde noch aus. Im Berufsfeld der „Elektroberufe“ beispielsweise würden bis zum Jahr 2030 rund 648.000 Menschen ausscheiden, aber nur 350.000 Erwerbspersonen aus dem Bildungssystem mit dieser Qualifikation ins Erwerbsleben einmünden.

Sell lobte die formale Durchlässigkeit in Rheinland-Pfalz. Personen, die eine Meisterprüfung oder eine vergleichbare berufliche Fortbildungsprüfung abgelegt hätten, erhielten mit dieser Qualifikation die Hochschulzugangsberechtigung für ein Studium an rheinland-pfälzischen Fachhochschulen und Universitäten, d.h. für alle Fächer ohne weitere Prüfung oder Eignungsfeststellung unabhängig von der Gesamtnote des Abschlusses. Personen, die eine berufliche Ausbildung mit qualifiziertem Ergebnis abgeschlossen und danach eine mindestens zweijährige berufliche oder vergleichbare Tätigkeit ausgeübt hätten, erhielten eine unmittelbare Hochschulzugangsberechtigung für das Studium aller Fächer an rheinland-pfälzischen Fachhochschulen und eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung an Universitäten. Auch hier werde auf ein Probestudium mit Eignungsfeststellung oder eine Hochschulzugangsprüfung grundsätzlich verzichtet.

Jedem Menschen eine Chance auf gute Ausbildung und gute Arbeit geben

Auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer blickte sowohl auf die duale Ausbildung als auch auf die zunehmende Akademisierung, ohne die eine gegen die andere ausspielen zu wollen. Dennoch teilte sie die Meinung des Wissenschaftsrates, dass es zu viele Studiengänge gebe und damit der Überblick verloren gehe. Das absolute Ziel müsse lauten, jedem Menschen eine Chance auf gute Ausbildung und gute Arbeit zu geben. Grundsätzlich müsse die duale Ausbildung gestärkt und auch die Ausbildungsabbruchquote von ca. 25 Prozent in Deutschland mit Präventionsmaßnahmen angegangen werden. Dreyer sprach sich deshalb für eine „assistierte Ausbildung“ aus. Angesichts des demografischen Wandels sei es um die Ausbildungs- und Arbeitschancen für junge Flüchtlinge gut bestellt. Jetzt gelte es, ihnen eine berufliche Orientierung zu vermitteln und ihnen beim Einstieg in den Beruf behilflich zu sein, wobei die sprachliche Förderung und Qualifizierung höchste Priorität habe.
Angesprochen auf die Zeitverträge der Lehrerinnen und Lehrer im Land wies die Ministerpräsidentin darauf hin, dass im laufenden Jahr 300 Lehrkräfte zusätzlich eingestellt worden seien. Sie versprach auch: „Wir wollen so wenig wie mögliche befristete Lehrverträge.“ Malu Dreyer freute sich über die Zunahme der Studierenden an den rheinland-pfälzischen Hochschulen, wies aber gleichzeitig auch darauf hin, dass eine Ausbildung im Beruf den gleichen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben müsse.

Die beruflichen Schulen weiterentwickeln

Hans Beckmann, Staatssekretär im Bildungsministerium, sieht es als dringend an, die Berufsschule weiter zu entwickeln, um eine gute Grundlage für die duale Ausbildung zu schaffen. Es gelte dort, auch individuelle Lernangebote zu schaffen und deutlich zu machen, an welcher Schule was ausgebildet werde. Beckmann möchte, dass viele der dualen Ausbildungsinhalte an der Berufsschule erhalten bleiben, vor allem, dass kein Schüler ohne Abschluss die Schule verlasse. Umgang mit Heterogenität, Inklusion und die pädagogische Betreuung der Schüler bis hin zur Schulsozialarbeit sind für Beckmann Schwerpunkte einer Weiterentwicklung des BVJ. Auch die höhere Berufsfachschule brauche eine Weiterentwicklung, um die Schüler fit zu machen für ihren weiteren beruflichen Weg. Der Staatssekretär betonte ebenso wie Prof. Sell die Aufstiegsoffenheit der Schulen. Trotz der Schuldenbremse räumte er der Unterrichtsversorgung eine hohe Priorität ein.

GEW-Landesvorsitzender Klaus-Peter Hammer unterstrich am Ende der Tagung noch einmal die Wichtigkeit der beruflichen Bildung. „Wir dürfen stolz sein auf unser duales System“, aber Weiterentwicklung und gute Arbeit seien auch hier nicht zum Nulltarif zu haben. Die duale Berufsausbildung sei auch ein wesentliches Element zur gelingenden Integration junger Menschen aus anderen Kulturen in den deutschen Arbeitsmarkt und zur Verringerung von Jugendarbeitslosigkeit. Die Rolle der Berufsschule im dualen System müsse nach wie vor gestärkt werden, weil die am Lernort Schule erworbenen Kompetenzen entscheidend seien für die Fähigkeit zur Weiterqualifikation und damit zur beruflichen Flexibilität und zu langfristigen Erwerbschancen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Bevor die Foren begannen, gab es noch eine Führung für die Tagungsteilnehmer durch die HWK mit ihren 20 Ausbildungsberufen. 6.000 Teilnehmer jährlich absolvieren hier neben ihrer betrieblichen Ausbildung noch eine überbetriebliche: in technischen Berufen 10 Wochen und im Baubereich bis zu 37 Wochen lang.