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Lehrkräfte endlich als Arbeitnehmer ernst nehmen

Vertrauenspersonen engagieren sich an ihren Dienststellen für die GEW, indem sie beispielsweise anderen Kolleginnen und Kollegen GEW-Informationen zugänglich machen, Kontakte für Beratungen vermitteln, auf Veranstaltungen hinweisen oder im Gespräch GEW-Positionen erläutern.

Foto: Lucas Schmitt
Fotos: Lucas Schmitt

In seiner Begrüßung zur Vertrauensleute-Tagung in Mainz im vergangenen Herbst fasste Klaus-Peter Hammer, der Vorsitzende der rheinland-pfälzischen GEW, noch einmal die wesentlichen Aufgaben der Vertrauensleute zusammen. Dazu gehörten auch Infos über bildungspolitisch relevante Themen und Handlungsfelder. Eins davon sei die Bildungsgerechtigkeit. In Vertretung von Prof. Sell von der Hochschule Koblenz sprach der junge Sozialwissenschaftler Tim Obermaier, ebenfalls von der Koblenzer Hochschule vom Institut für Bildungs- und Sozialpolitik, über das Thema „Migration und Armut, Jugend- und Kinderarmut. – Eine Bestandsaufnahme der Migrationsentwicklung in Rheinland-Pfalz und die Zusammenhänge zwischen Migration und Armut“.

Der Referent begann mit der begrifflichen Abgrenzung zwischen Ausländer und Migrant. Ausländer seien alle Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In Deutschland lebten 2013 insgesamt mehr als 7,6 Millionen Ausländer. Der Begriff Ausländer sei heute allerdings mehr zur Beschreibung des Phänomens geeignet; besser sei es, von Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen. Dieser liege vor, wenn die Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitze oder der Geburtsort außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liege und eine Zuwanderung in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte oder der Geburtsort mindestens eines Elternteiles außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liege sowie eine Zuwanderung dieses Elternteiles in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte.

2012 hätten 20 Prozent der Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund gehabt, in Rheinland-Pfalz waren es 19,6 Prozent. Bei den Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren in unserem Bundesland liege dieser Anteil bei 31 Prozent. Auffällig sei bundesweit die erhöhte
Arbeitslosigkeit bei Migranten, die 35 Prozent betrage.

Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund weise niedrige Betreuungsquoten ihrer Kinder auf, welche sich dann auch anders auf die Schularten verteilten. Ungleiche Chancen bestünden auch beim Zugang zur beruflichen Bildung. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund sei außerdem stärker von Armut gefährdet: Fast jeder zweite Haushalt mit Migrationshintergrund und mehr als vier Kindern unter 18 Jahren sei armutsgefährdet - ohne Migrationshintergrund sei das fast jeder Fünfte.

Soziale Herkunft und Bildungserfolg
Nach dem neuesten Bericht der Integrationsbeauftragten des Bundes in Berlin hänge noch immer der Bildungserfolg viel zu sehr von der sozialen Herkunft ab und nicht von der individuellen Leistung. Die Herkunft wirke sich dem Bericht zufolge auf die Notenvergabe sowie auf die Empfehlungen für die Schulübertritte aus. Eine Ursache sieht die Integrationsbeauftragte in der fehlenden ethnischen Diversität der Lehrerschaft, aber auch im Lehrmaterial. Zudem kritisiert der Bericht „verinnerlichte negative Stereotypen auf Seiten der Lehrkräfte“.

Nach dem Referat von Tim Obermaier forderte GEW-Vorsitzender Klaus-Peter Hammer eine „Welcomekultur für die Flüchtlinge“ und eine „stärkere Sprachförderung für die Flüchtlings- und Migrationskinder“. „Wir müssen endlich die sozialen und gesellschaftlichen Barrieren abbauen“, sagte Hammer.

Tarifpolitik und Beamtenstreik
Über L-EGO und BeamtInnenstreik sprach anschließend Gesa Bruno-Latocha vom GEW-Hauptvorstand in Frankfurt. Ausgangspunkt war die Frage: Wie sind wir überhaupt dazu gekommen, über die tarifliche Eingruppierung von Lehrkräften zu verhandeln? Ursache sei die Reform des Tarifrechts im öffentlichen Dienst gewesen, bei der der alte Bundesangestelltentarif BAT 2006 durch den Länder-Tarifvertrag TV-L abgelöst worden sei. Der GEW-Verhandlungsführung sei es damals gelungen, in diese Entgeltordnung den Halbsatz „unter Einschluss der Lehrkräfte“ aufzunehmen. Es sei hin und her gegangen, aber noch nichts entschieden. Klar sei heute, dass kostenwirksame Bestandteile erst in der Tarifrunde 2015 endgültig entschieden werden könnten und dann auch auf das Tarifergebnis insgesamt angerechnet würde. Das werde aber nur gelingen, so Bruno-Latocha, „wenn die GEW in der Tarifrunde 2015 unübersehbar auf der Straße steht“.

Was hat das Ganze jetzt mit dem Beamtenstreik zu tun? Mehr als man denkt: Durch die Tatsache, dass die Mehrzahl der Lehrkräfte als Beamte nach herrschender Rechtsauffassung nicht streiken dürfen, gelinge es der GEW nur selten, wirksam zu streiken. Das beeinträchtige ihre Durchsetzungsfähigkeit enorm. Das Beispiel Berlin beweise das. Dort würden seit 10 Jahren keine Lehrkräfte mehr verbeamtet. Die Angestellten würden immer mehr, und es seien überwiegend die Jungen. Mit den Streiks im vergangen Jahr hätten die Berliner KollegInnen bewiesen, dass auch Lehrkräfte wirksam streiken könnten.

Bruno-Latocha: „Wenn nun die Dienstherren im Gefolge der Schuldenbremse ihren Beamtinnen und Beamten immer mehr Zumutungen aufbürden, werden diese sich wehren müssen.“ In Rheinland-Pfalz hätten letztes Jahr Hunderte verbeamtete Kolleginnen und Kollegen das gezeigt. „Die GEW kämpft weiter vor Gericht gegen Disziplinarstrafen für streikende Beamte.“ Sie müsse aber vor allem schon jetzt die Diskussion vorantreiben, wie ein demokratisiertes Beamtenrecht mit vollen Koalitionsrechten aussehen könne.

Vertrauensleute gesucht
Unter der Leitung von Sylvia Sund, Elmar Ihlenfeld und Frank Fremgen ging es am Schluss der Tagung in Gruppen um Probleme, Wünsche, Ideen und Meinungen der Vertrauensleute. Gesundheitliche Einschränkungen und das Alter machten es immer schwerer, Vertrauensleute zu gewinnen, so der Tenor der Gespräche. Junge Leute zu erreichen, sei besonders schwer, da viele nur Zeitverträge bekämen. Da an einer Reihe von Schulen keine Vertrauensleute der GEW aktiv seien, sei es schwer, GEW-Erfolge dort zu vermarkten. Junge Leute, so ein Teilnehmer, seien durchaus engagiert, wenn sie Vertrauensfrau oder Vertrauensmann geworden seien, aber oft fühlten sie sich alleine gelassen. Auch die zunehmende Belastung in der Schule sei für manchen ein Grund, nicht als Vertrauensperson zu arbeiten, z.B. die oft fehlende Teamarbeit oder die Inklusion, wo die Rahmenbedingungen nicht stimmten und viele LehrerInnen nicht wüssten, wohin die Reise gehe: „Wir haben unendlich viele Probleme“. Auch der Zustrom der Flüchtlinge und MigrantInnen belaste immer mehr die Schulen, weil für die Sprachförderung zu wenig Geld seitens der Regierung ausgegeben werde.

Abschließend wies Klaus-Peter Hammer noch auf die Briefaktion („Lebensarbeitszeitverlängerung für verbeamtete Lehrkräfte“) hin und ermutigte die TeilnehmerInnen, zu Abgeordneten zu gehen, um ihre Anliegen vorzutragen. „Lehrerinnen und Lehrer haben das Recht, als Arbeitnehmer ernst genommen und nicht nach Gutsherrenart behandelt zu werden.“