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Gedenktag an die Opfer der NS-Diktatur

GEW sorgt sich um zunehmenden Antisemitismus und Homophobie

Anlässlich des Gedenktages an die Opfer der NS-Diktatur, der am 27.01.2020 stattfindet, kritisiert Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender der GEW in Rheinland-Pfalz, dass menschenfeindliche Haltungen in der heutigen Gesellschaft zunehmen. In einer umfangreichen Erklärung der GEW mahnt Hammer, dass die demokratische Grundordnung, die auf Menschlichkeit und Toleranz basiert, verteidigt werden muss. Der Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft fordert ein Antidiskriminierungsgesetz für Rheinland-Pfalz. Außerdem setzt er sich dafür ein, dass der Demokratieerziehung in den Schulen mehr Platz eingeräumt wird.

Erklärung der GEW zum Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur am 27. Januar 2020 - GEW sieht akuten Handlungsbedarf

Aus Anlass des Gedenktages weist die GEW darauf hin, dass viele demokratische Errungenschaften weder selbstverständlich, noch für die Zukunft gesichert sind.

„Leider müssen wir erkennen“, so Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender der GEW-Rheinland-Pfalz, „dass menschenfeindliche Haltungen wie Antisemitismus oder Homophobie in unserer heutigen Gesellschaft wieder zunehmen und auch in manchen politischen Kreisen Programm werden. Dem müssen wir aktiv entgegentreten und unsere demokratische Grundordnung, basierend auf Menschlichkeit und Toleranz, verteidigen. In diesem Sinne gedenken wir heute aller Opfer der NS-Diktatur.“

Am 27. Januar 2020 gedenkt der rheinland-pfälzische Landtag auch der homosexuellen Opfer der NS-Diktatur. Der 8. Mai 1945 war für viele Verfolgte ein Tag der Befreiung von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung durch die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus und seiner terroristischen, ganz Europa mit Krieg überziehenden Verbrechen. Nicht so für schwule Männer, die bis 1969 von Polizei und Justiz auf Grundlage des § 175 StGB in der von der NS-Diktatur 1935 verschärften Fassung verfolgt wurden. Die Gefängnistüren, die im Sommer 1945 kurz aufgegangen waren, schlossen sich im Herbst desselben Jahres wieder, Strafverfahren wurden fortgesetzt; oft vor denselben Richtern, die die Betroffenen schon während der Diktatur verurteilt hatten. In 6.000 Strafverfahren wurden zwischen 1947 und 1969 von rheinland-pfälzischen Gerichten 2.880 Männer wegen ihrer einvernehmlichen Liebe zu Männern nach § 175 StBG verurteilt.

Es gab einen gesellschaftlichen Konsens, dass schwule Männer, lesbische Frauen, Bisexuelle, Trans* und Inter*Personen nicht dazugehören sollten. Dieser Konsens wurde in der Nachkriegszeit maßgeblich von zwei Rheinland-Pfälzern, Adolf Süsterhenn, dem „Vater der rheinland-pfälzischen Verfassung“ und dem ersten Bundesfamilienminister Franz-Josef Würmeling durch die Berufung auf das „natürliche Sittengesetz“ auf eine neue Grundlage gestellt, nachdem die NS-Ideologie nicht mehr ausreichend tragfähig war. Süsterhenn band in § 1 der rheinland-pfälzischen Verfassung die freie Entfaltung der Persönlichkeit an die Schranken des Sittengesetzes. Würmeling erklärte, die Berufstätigkeit von Frauen als Geltungssucht und dass diese vom Wohlstandfieber befallen seien. Unter seiner Ägide wurde das Scheidungsrecht 1961 geändert. Bis 1977 galt fortan das Schuldprinzip, welches vor allem zum Nachteil von Frauen angewandt wurde. So u. a. auch gegen lesbische Frauen, denen das Sorgerecht für Ihre Kinder, in Mainz in einem Fall noch 1981, entzogen wurde.

Rheinland-Pfalz führte als erste Bundesland 1949 ein Gesetz gegen „Schmutz und Schund“ ein und Vertreter des katholischen Volkswartbundes sahen es als ihre Aufgabe an homosexuelle Zeitschriften und Literatur verbieten zu lassen und öffentlichkeitswirksam vor Kinos vor dem Besuch von „Schmutz und Schund“ Filmen zu warnen. Als Ministerpräsident und zeitweiliger Innenminister (1949-1951) war Peter Altmeier für die Ermittlungen in diesem Zusammenhang verantwortlich.

Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht wurden 1957 in einem Urteil zurückgewiesen, da der § 175 StGB ordnungsgemäß zustande gekommen sei, dem „gesunden Volksempfinden“ und dem Sittengeset entspräche, welches von den beiden christlichen Kirchen definiert werde - mit der Konsequenz, dass nach § 175 StGB Verfolgte bis 2017 keine Entschädigung bekamen.

Das Beispiel der Verfolgung von Homosexuellen zeigt, dass ein demokratischer Rechtsstaat entscheidend darauf angewiesen ist, dass sich Demokrat*innen auf Grundlage der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 dieser Grundwerte und den Menschenrechten stets vergewissern.

Als Konsequenz der Verbrechen der NS-Diktatur legten die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes jeder staatlichen Gewalt die Verpflichtung auf, die Würde jedes Menschen zu schützen.

Für den Bildungsbereich heißt das vor allem,

  • dass in viel stärkerem Maße als bisher der Demokratieerziehung Platz eingeräumt werden muss,
  • dass die Vielfalt der Schüler*innen und Lehrpersonen inklusive der verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten in jeder Bildungseinrichtung sichtbar wird,
  • dass das Bildungsprojekt SCHLAU (schwul, lesbisch , bi, trans*, inter* Aufklärung) in den Bildungseinrichtungen bekannt gemacht wird und auch eine entsprechende finanzielle Förderung erfährt,
  • dass es verpflichtende Module in den Ausbildungsgängen aller Berufe gibt,
  • dass es für Schüler*innen und Lehrer*innen zur Schaffung eines Klimas der Wertschätzung sowie in Fällen von Ausgrenzung und Diskriminierung in jedem Kollegium Ansprechpersonen für Vielfalt und Akzeptanz gibt,
  • dass alle Personalräte sich dem Eintreten für eine diskriminierungsbewusste Schule verpflichtet sehen und über die nötigen Instrumente zur Durchsetzung verfügen können

„Rheinland-Pfalz braucht ein Landesantidiskriminierungsgesetz“, so Hammer, „das den Schutz auch im Bildungsbereich gewährleistet, den das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht bietet. Ein Gutachten für die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes liegt der Landesregierung seit drei Jahren vor. Im Koalitionsvertrag ist Handlungsbedarf erkannt. Es wird Zeit.“

75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur und 50 Jahre nach einer ersten Abmilderung des § 175 StGB im Jahr 1969, ist die Zeit reif für Wiedergutmachung.

Überfällig ist die Schaffung eines Fonds, der die weitere historische Forschung ermöglicht und v. a. die Erinnerung an die Verfolgung innerhalb des demokratischen Rechtsstaats wach hält, damit das Versprechen des Grundgesetzes gilt:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und vor allem auch aktiv zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, so Hammer abschließend in seiner Stellungnahme.

 

 

Mainz, den 25.01.2020