Leadership ist seit Jahren ein zentrales betriebswirtschaftliches Thema. Wie ein Betrieb erfolgreich geleitet werden kann, wird in zahlreichen Veröffentlichungen erörtert. Das deutsche Wort „Führung“ erscheint manchen angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus heikel. Ich verwende diesen Begriff bewusst, um die dunkle Seite von Leadership einzuschließen.
Während über Jahrzehnte Führung vorwiegend positiv bis heroisierend beschrieben wurde, untersuchte die Harvard-Politologin Barbara Kellerman bereits in den 1980er Jahre die dunkle Seite, zunächst auf dem Gebiet politischer Führung1. Sie griff dabei u.a. auf die Forschungen von Theodor W. Adorno und Erich Fromm zurück. Sie machte deutlich, dass es eine „Welt des schlechten Führungsstils“ gibt, und plädierte dafür, um die damit verbundenen sozialen Pathologien keinen Bogen zu machen, sondern zu versuchen, sie zu verstehen. In weiteren Veröffentlichungen thematisierte sie die schlechte Führung von Betrieben2.
Strukturen, die Mitbestimmung vorschreiben, verhindern schlechte Führung nicht. Im Gegenteil, schlechte Führung ist verbreitet. Eine norwegische Forschergruppe um Prof. Aasland fand 2010 in einer Studie mit 2500 Personen heraus, dass 80% aller Befragten „destructive leadership behaviour“ selbst erlebt haben, meist sogar regelmäßig3.
- Schlechtes Führungshandeln
Die – recht junge – Forschung zu bad leadership hat untersucht, was schlechte Führung ausmacht und was es dazu braucht, dass sie ihr zerstörerisches Werk verrichten kann. Zunächst lag der Fokus der Forschung auf der Führungspersönlichkeit. Kellerman unterscheidet zwei Dimensionen: Ineffektivität – verursacht durch fehlende Qualifikation und Eigenschaften – sowie mangelnde Ethik, bei der die eigenen Interessen im Vordergrund stehen. Hier kommt auch die oben erwähnte Soziopathie ins Spiel. Auf der Basis dieser Überlegungen erstellte Kellerman sieben Typen, von inkompetent bis böse („evil“). Letzterer steht auf Macht und Gewalt. „Zum schlechten Führungshandeln zählen dabei typischerweise Schikane, Mobbing, Demütigung und Bestrafung“, fasst Waibler (s.o.) zusammen. Dazwischen gibt es Unbeweglichkeit, Unmäßigkeit, Gefühllosigkeit, Korruptheit und Gleichgültigkeit. Neuere Forschungen weisen darauf hin, dass Führende in der Praxis häufig sowohl positive als auch negative Verhaltensweisen aufweisen.
Besonders problematisch ist die Dimension, bei der der Führende seine eigenen Ziele rücksichtslos verfolgt, auf Kosten der Ziele Anderer. Unethisch, böse, Interesse an Macht und Gewalt – das sind schwere Vorwürfe. Erich Fromm spricht von der „Leidenschaft“, andere zu kontrollieren - aus Angst vor Lebendigkeit, auch der eigenen. Destruktive Strebungen sind ihm zufolge weit verbreitet. Fromm nennt als „Faktoren, die dem Sadismus Vorschub leisten, ... all jene Bedingungen, die dem Kind oder dem Erwachsenen ein Gefühl der Leere und Ohnmacht geben“.4 Situationen von Mangel, Ohnmacht und Angst haben die meisten Menschen irgendwann in ihrem Leben – insbesondere in früher Kindheit - durchmachen müssen. Unverdaute Erlebnisse können die Seele vergiften, und mit ihr die Beziehungen.
- Narzisstische Charakterzüge
In der neueren Diskussion werden vor allem narzisstische Charakterzüge für unethische Führung verantwortlich gemacht.5 Menschen mit narzisstischen Zügen sind stark auf sich selbst bezogen. Hintergrund ist ein geringes Selbstwertgefühl. Da der Fokus auf der eigenen Person liegt, ist wenig Raum für andere: Es mangelt an Empathie und Mitgefühl. Andere Menschen dienen vor allem zur Bestätigung der eigenen Größe.
Narzisstische Störungen haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Als Gründe gelten u.a. „Desorientierung in einer unübersichtlich gewordenen Welt“6, die materielle Ausrichtung unserer Gesellschaft sowie der Vorrang des Konsums und der Medien. Gelingende Beziehungen und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit – nicht am Computer, sondern in der realen Welt – sind Bausteine einer stabilen Psyche. In einer Welt aus Beton und Maschinen wird die psychische Entwicklung schwieriger. Minderwertigkeitsgefühle, Ängste und Gefühle innerer Leere nehmen zu – und werden kompensiert, etwa durch Arroganz und Selbstgefälligkeit. Für die instabile Psyche ist jede Kritik eine Bedrohung. Überempfindlichkeit und Wut, wenn die eigene Größe in Frage steht, mangelnde Flexibilität und Misstrauen bis hin zu Paranoia sind häufig.
Führungspositionen ziehen Menschen mit derartigen Problemen an. Für Narzissten bedeutet es einen besonderen Reiz, sich in einer vorgesetzten Position zu befinden, besonders beachtet zu werden, den KollegInnen Vorgaben machen und sich überlegen fühlen zu können. „Ein Mensch mit einer narzisstischen Störung muss immer großartig sein, sich besonders darstellen, um seine eigentliche innere Unsicherheit und seinen Selbstwertmangel zu verbergen,“ sagt der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz im Zeit-Interview, und weiter: „Eine Führungsfunktion ist da natürlich großes Futter für den narzisstischen Mangel.“7
Führung kann einem insgeheim instabilen Selbst zu temporärer Größe verhelfen, die als seelischer Balsam empfunden wird. Für so ein Erlebnis werden auch schlimme Folgen ausgeblendet. Ein Beispiel: Wenn man einen Untergebenen, der etwas falsch gemacht hat, so richtig zusammenfaltet, vielleicht sogar vor anderen anschnauzt, demonstriert man machtvoll die eigene Stärke. Allerdings hat der Führende, der so seine Selbstwertprobleme kompensiert, seine Situation nicht stabiler gemacht, weil er nun (versteckte) Ablehnung erntet. Unsicherheit und Misstrauen werden verstärkt. Weitere Größendemonstrationen können kurzfristig Sicherheit verschaffen – und werden die Feindseligkeiten verstärken. Ein Teufelskreis entsteht.
Narzisstische Personen verstricken sich leicht in Machtkämpfe. Fehler eingestehen, nachgeben, sich entschuldigen fällt ihnen schwer, weil der Anschein eigener Größe aufrechterhalten werden muss. Partizipation und Mitbestimmung können sie nicht zulassen, weil sie nicht auch mal verlieren können. In einem demokratischen Umfeld neigen narzisstische Führungskräfte zum Tricksen, etwa, indem vorgeschriebene Abstimmungen umgangen oder manipuliert werden. Natürlich merken die MitarbeiterInnen das, auch wenn sie schweigen: Ihr Vertrauen schwindet, ihr Engagement nimmt ab.
Im Grunde sind Personen, die stark mit der (mangelnden) eigenen Größe beschäftigt sind, für Führungspositionen nicht geeignet – und trotzdem sind viele mit ihnen besetzt. Für die Journalistin Karen Duve erklärt sich daraus ein großer Teil des sozialen und ökologischen Elends, das unsere Welt befällt. In ihrer „Brandrede“ (faz 10.11.2014) „Warum die Sache schiefgeht“ behauptet sie, eine „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ sei zumindest ein Vorteil für eine Position im Management. Sie begründet dies u.a. mit einem Arbeitstag, der kaum noch Zeit für Partner und Kinder lässt8. Gleichberechtigte sind eben nicht das, was die narzisstische Seele braucht, um sich großartig zu fühlen.