Zum Inhalt springen

Erwachsenenbildung

Lasst uns Tacheles reden!

Zur Stellung der Lehrkräfte in den Integrations- und Berufssprachkursen im Schatten der Haushaltsplanung 2025 – ein Kommentar von Simone Holzhäuser-Sutter

Foto: Shutterstock
(Foto: shutterstock.com/GEW)

Wie naiv – da dachte ich doch tatsächlich, es könne nicht mehr schlimmer werden. Schließlich verfügen sämtliche beteiligten Ministerien und Ämter (BMI, BMAS und BAMF) über Expert:innengremien, die seit Jahren ihre nicht vorhandene Praxiserfahrung in Organisation und Planung der Integrations- und Berufssprachkurse einbringen. Tatsache ist: Das Budget für die Sprachkurse reicht bereits für 2024 nicht und wird daher folgerichtig für 2025 halbiert. Das verstehen Sie nicht? Sie sind ja auch keine vollsubventionierten Experten.

Nachdem nun sowohl Träger als auch Migrantenorganisationen alarmiert sind, scheint es mir angebracht, auch einmal von den Auswirkungen auf uns Lehrkräfte zu sprechen. Wir werden ja gerne übersehen, da wir ganz ruhig und unaufgeregt irgendwo im stillen Kämmerlein (im Vereinshaus, im Gemeindezentrum oder tatsächlich in einem ausnahmsweise geeigneten Unterrichtsraum) täglich als Selbstständige unseren Dienst an der Gesellschaft leisten. Wir arbeiten nicht an einer richtigen Schule, mit Lehrerzimmer, regelmäßigen Konferenzen, Kopierer, Intranet und Weihnachtsfeier – das wäre ja gar keine Herausforderung! Nein, wir wursteln jede/r vor uns hin, einer hier, eine da. 

Eine solche Erwerbstätigkeit muss man sich leisten können! Daher ist auch der Frauenanteil besonders hoch, denn im 21. Jahrhundert ist es in der Erwachsenenbildung immer noch so, dass oft der (angestellte/verbeamtete) Mann seine Frau mitfinanzieren muss, denn von 9€ netto/UE (GEW HH) kann man ganz knapp nicht leben, auch wenn das den im öffentlichen Dienst beschäftigten Expert:innen selbst nach knapp 20 Jahren noch nicht aufgefallen ist.

Da fällt mir ein: „Hin.Gehört.“ Arbeitsminister Heil, der Geflüchtete ja mit seinem Job-Turbo schnell in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bringen will (wieso uns Lehrkräfte eigentlich nicht? Ach so, Akademiker:innen in Deutschland zählen selbstverständlich nicht zur Gruppe der Fachkräfte), war 2020 auf Tour im schönen Ludwigshafen/Rh. und wurde von einer Kollegin komplett aufgeklärt, was unsere im Grunde prekären Arbeitsverhältnisse angeht. Reaktion: Er schäme sich. Konsequenz: keine. Mit diesem Erfolgskonzept geht er auch in diesem Jahr wieder auf Tour (18.11. in Koblenz). Keine Angst, der Minister will nur spielen…

Inflationsausgleichsprämie – noch so ein schönes Stichwort. Gefühlt alle haben sie bekommen (Beamt:innen, Minister:innen…), nur die echt bedürftigen – wie wir Lehrkräfte dritter Klasse – hat man seltsamerweise vergessen. Aber das erinnert mich an Corona-Zeiten: Muss nicht auch die Friseurin ihre Unterstützung zurückzahlen? Wir zahlen nichts zurück, wir haben nämlich nichts bekommen bzw. es wurde ja ins Ermessen der Träger gestellt. Frage: Sie als Träger haben die Wahl zwischen viel Arbeit (Zahlungen nach dem SodEG für jede einzelne Lehrkraft berechnen) und Stillhalten, was wählen Sie?

Kommen wir zum Höhepunkt des Dramas: dem „Herrenberg-Urteil“. Schon 2017 brodelte es, als das Goethe-Institut plötzlich 400 Honorarkräfte auf die Straße setzte wegen befürchteter Scheinselbstständigkeit. Der Witz daran: Es war gar keine – haha, selten so gelacht. Jetzt also wieder große Aufregung, die DRV prüft. Ach nein, die Betriebsprüfungen sind ja ausgesetzt. Du liebe Zeit, wer weiß, was da rauskommt, am Ende sind wir tatsächlich (fast) alle scheinselbstständig. Das wäre das Ende der Bildungsrepublik, das kann nicht sein, weil es nicht sein darf.

Hintergrund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Juni 2022 (Az. B 12 R 3/20 R) zur Scheinselbstständigkeit von Honorarkräften in der Weiterbildung. Die Entscheidung schlägt aktuell Wellen, weil die Deutsche Rentenversicherung (DRV) derzeit auf Basis des BSG-Urteils vermehrt Betriebsprüfungen im Weiterbildungsbereich durchführt, in denen es um Scheinselbstständigkeit geht.

Nach Auffassung des BSG war eine Klavierlehrerin an einer Musikschule in Herrenberg „scheinselbstständig“. Das bedeutet: Obwohl sie als selbstständige Honorarlehrkraft beschäftigt wurde, bestand für den Arbeitgeber Sozialversicherungspflicht. Die Musikschule muss nun erhebliche Rentenversicherungsbeiträge nachzahlen. Das ist insoweit nichts Neues, denn das BSG hatte schon in der Vergangenheit in mehreren Urteilen Honorarlehrkräfte als scheinselbstständig bewertet. Neu ist nach Auffassung vieler Sozialrechtlerinnen und -rechtler die Begründung des Urteils, in der das Gericht die Kriterien für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sehr viel weiter fasst als zuvor. Für eine abhängige Beschäftigung reiche es demnach aus, dass die Lehrerin nicht unternehmerisch auf dem Markt auftrat und die gesamte Organisation der Kurse in den Händen der Musikschule lag. Das Urteil ist zwar – wie auch frühere – eine Einzelfallentscheidung, hat aber insbesondere bei den kommunalen Musikschulen in ganz Deutschland zu großer Verunsicherung geführt, ob sie diese Honorarlehrkräfte überhaupt noch rechtssicher beschäftigten können.

Die Bedeutung des Urteils geht aber weit über die Musikschulen hinaus. Eine Vielzahl der Träger in der Weiterbildung (etwa Volkshochschulen, Integrationskursanbieter, Grundbildungszentren, Träger beruflicher Weiterbildung für die Bundesagentur für Arbeit (BA)) setzt aus Kostengründen überwiegend Honorarlehrkräfte ein. Diese müssen aus einem oft schmalen Honorar ihre gesamte Sozialversicherung selbst tragen. Da laut Auskunft der Träger die DRV derzeit auf Grundlage des Herrenberg-Urteils vermehrt Betriebsprüfungen durchführt, haben viele bereits begonnen, den Honorarlehrkräften Arbeitsverträge anzubieten, um auf der sicheren Seite zu sein. Dies aber oft zu Bedingungen, die für die Beschäftigten eine weitere Verschlechterung ihrer ohnehin prekären Situation bedeuten. So sollen Lehrkräfte in Teilzeit auf dem Niveau des Mindestlohns Weiterbildung beschäftigt werden, wobei sie laut GEW-Informationen bei 30 Stunden Arbeitszeit volle 30 Stunden unterrichten müssen. Es bliebe also keine Zeit für die Vor- und Nachbereitung oder sonstige Tätigkeiten. Das Nettoeinkommen der Beschäftigten wäre noch geringer als zuvor auf Honorarbasis bei voller Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge.

Von den rund einer Million Beschäftigten in der Erwachsenen- und Weiterbildung ist weit mehr als die Hälfte als Honorarlehrkräfte tätig. Viele arbeiten überwiegend oder ausschließlich für einen Träger und erzielen aus dieser Tätigkeit ihr gesamtes Einkommen. Sie müssen alle Sozialversicherungsbeiträge selbst zahlen, haben keinen Kündigungsschutz und keinen Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall. Die große Mehrheit dieser Honorarlehrkräfte ist nicht freiwillig selbstständig, sondern würde eine Festanstellung zu fairen Konditionen bevorzugen.

Ein erheblicher Teil der Weiterbildungsangebote ist staatlich finanziert. Volkshochschulen und Musikschulen sind in der Regel in kommunaler Trägerschaft, viele freie Träger bieten Integrationskurse für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), berufliche Weiterbildungen für die BA oder die Jobcenter an, für die sie nach Teilnehmendenzahl mit dem jeweiligen Amt abrechnen. Das BAMF macht für Honorarlehrkräfte ein Mindesthonorar von derzeit 43,92 Euro pro Unterrichtseinheit zur Voraussetzung, bei der BA gilt ein vergabespezifischer Mindestlohn, der für Vertragslehrkräfte ein Monatsbruttoeinkommen von bis zu 3.247 Euro bei einer 39-Stunden-Woche vorsieht. Das sei deutlich weniger als eine akademisch ausgebildete Lehrkraft verdienen sollte, so GEW-Vorstandsmitglied Becker. Um auf dem Niveau des TVöD zu bezahlen, brauchten die Träger erheblich mehr Geld. Sonst müssten sie ihr Angebot erheblich zusammenstreichen.

Ich unterrichte im Berufssprachkurs B2 selbstbewusste und qualifizierte Teilnehmende, die genau wissen, was sie wollen: eine sozialversicherungspflichtige, unbefristete und angemessen bezahlte Arbeit. Auf uns hochqualifizierte Lehrkräfte trifft kein einziger dieser Aspekte zu – Respekt sieht anders aus. 

Sollte also das sowieso schon deutlich zu niedrig angesetzte Budget, das auf der Ausbeutung von uns Lehrkräften beruht, nochmals reduziert werden, können die Koalitionspartner das Projekt Integration beerdigen. Die Folgekosten dieses Scheiterns werden immens sein.

Was wir wollen: entweder angestellt oder freiberuflich, aber in jedem Fall unter angemessenen Bedingungen! Und nein, 40UE/Woche und 43,92€/UE brutto (minus komplettem Rentenversicherungsbeitrag, minus vollem Krankenversicherungsbeitrag etc.) sind nicht angemessen! Krank im Unterricht zu sitzen, weil wir nur bei Anwesenheit bezahlt werden, die 15 Minuten Pause in den 5 UE nicht bezahlt zu bekommen, das Honorar im Folgemonat zwischen dem 5. und dem 10. zu erhalten, das ist nicht angemessen! In B2 18x8 Präsentationen und unzählige Tests/Briefe honorarfrei zu korrigieren, das ist nicht angemessen! Altersarmut ist nicht angemessen!

Warum ich diesen Beruf trotzdem seit 18 Jahren ausübe? Weil er für mich Berufung ist und weil ich dafür brenne, Menschen aus aller Welt hier Wege zu öffnen, Perspektiven aufzuzeigen, sie zu begleiten und zu unterstützen, denn „Sprache ist der Schlüssel zur Integration“ (BMI).

Die GEW hat sich gemeinsam mit Trägerorganisationen und Verbänden in einem Positionspapier dafür stark gemacht, die Mittel für Integrationskurse im Haushalt 2025 auf mindestens 1,1Mrd. Euro zu erhöhen.

Kontakt
Simone Holzhäuser-Sutter
Privat:  06231 929565

GEW-Kreis Ludwigshafen