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Inklusion braucht Verlässlichkeit und Ressourcen

Die Kolleginnen und Kollegen brauchen für die Bewältigung neuer Aufgaben und die Weiterentwicklung inklusiverer Schulen Verlässlichkeit und Ressourcen. Gleichermaßen brauchen dies die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern.

Die durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinde-rungen (Behindertenrechtskonvention – UN-BRK) völkerrechtlich verbrieften Rechte auf diskriminierungsfreie gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen und insbesondere auf Zugang zum allgemeinen inklusiven Schulsystem sind unveräußerliche Grundrechte, zu deren Umsetzung alle Staaten und Landesregierungen verpflichtet sind. Die dazu notwendigen erheblichen strukturellen Veränderungen und die erforderlichen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung sind zügig anzugehen und als komplexe gesamtgesellschaftliche Entwicklungsaufgaben schrittweise zu realisieren.

 Deshalb fordert die GEW gemäß den Vorgaben in der UN-BRK und den KMK-Beschlüssen, dass die Landesregierung aktiv die Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft vorantreibt, indem sie in wirksamen Kampagnen über die Verpflichtungen und eindeutigen Zielsetzungen aufklärt und das Bewusstsein für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen schärft  (Artikel 8 „Bewusstseinsbildung“ der UN-BRK und KMK 2010, S. 9).

Für die Handlungssicherheit der Schulen und aller an Schule Beteiligten ist es dringend erforderlich, dass die Landesregierung auf der Grundla-ge einer Bestandsaufnahme klare gesellschafts- und bildungspolitische Ziele benennt und dazu kurz-, mittel- und langfristige Schritte zur Weiterentwicklung festlegt (KMK 2010, S. 2 und S. 10 und KMK 2011, S. 16). Die KMK führt dazu insbesondere aus: „Die Akzeptanz von Anderssein und Verschiedenheit sowie der Umgang mit Vielfalt“ sind dabei „gesellschaftliche Verpflichtung und Aufgabe“ (KMK 2010, S. 8 f). „Zentrales Anliegen der Behin-dertenrechtskonvention in der Bildung ist die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in das allgemeine Bildungssystem und damit auch das gemeinsame zielgleiche oder zieldifferente Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen (vgl. Art. 24 Abs.1 VN-BRK) in der allgemeinen Schule. (…) Die Länder stellen sich ausdrücklich diesen Herausforderungen und dem damit verbundenen pädagogischen Perspektivwechsel bezogen auf Kinder mit Behinderungen.“ (KMK 2010, S. 3 f) „Das Ziel ist ein Schulsystem, das die individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten aller Schülerinnen und Schüler, somit auch derjenigen mit Behinderungen, fördert und damit einen wesentlichen Beitrag zu ihrer weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung leistet.“ (KMK 2010, S. 9)

Der in der UN-BRK enthaltene Rechtsanspruch auf inklusive schulische Bildung ist zügig in das rheinland-pfälzische Schulgesetz aufzunehmen (Art. 4 Abs. 1 UN-BRK, KMK 2010, S. 7).

Da die Bildung und Erziehung von jungen Menschen mit Behinderungen Aufgaben aller Bildungseinrichtungen und Aufgaben aller Beteiligten sind (KMK 2011, S. 4), sind alle LehrerInnen und Pädagogischen Fachkräfte für einen inklusiven Unterricht aus- und fortzubilden (Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 UN-BRK, KMK 2010, S. 4, 5, 6 und 8 und KMK 2011, S. 20 f). Dazu ist dringend ein Konzept einer inklusiven LehrerInnenbildung zu entwickeln.

Für diesen bildungspolitischen Veränderungsprozess ist es dringend notwendig, dass das Bildungsministerium die Aufgaben der Förderschulen entsprechend den KMK-Beschlüssen neu festlegt. Die KMK führt dazu aus: „Für die Verwirklichung inklusiver Bildung ist das Zusammenwirken der allgemeinen Pädagogik mit der Sonderpädagogik unabdingbar.“ (KMK 2010, S. 5) „Förderschulen zeichnen sich durch ihre spezifischen sonderpädagogischen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote aus. (…) Förderschulen mit spezifischen sonderpädagogischen Förderschwerpunkten sind sowohl Lernorte mit eigenen Bildungsangeboten als auch Kompetenz-/Förderzentren (…) mit sonderpädagogischen Angeboten in den allgemeinen Schulen.“ (KMK 2010, S. 6) „Sonderpädagogische Unterstützungssysteme entwickeln je nach Gegebenheiten der Region oder des Bildungssystems länderspezifisch unterschiedliche Profile. Sie tragen einer fachlichen und organisatorischen Weiterentwicklung sonderpädagogischer Bildung, Beratung und Unterstützung Rechnung. Diese können als regionale oder überregionale Einrichtungen einzelne oder mehrere Förderschwerpunkte umfassen und die präventiven, inklusiven und kooperativen Formen fachgerecht unterstützen.“ (KMK 2011, S. 16)

Neben dieser Zusammenarbeit der Schulen ist zudem die regionale Vernetzung aller an Bildung, Beratung und Unterstützung beteiligten Partner gemäß den KMK-Vorgaben landesspezifisch zu regeln. Dazu die KMK: „Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote in einer Region werden in einem Netzwerk der Partner abgestimmt, um die schulische Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen dem Bedarf entsprechend auszugestalten. In allen Fragen der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sind die Schulträger, die Träger der Eingliederungshilfen sowie weitere Leistungs- und Kostenträger zu beteiligen und einzubinden.“ (KMK 2011, S. 21; siehe auch KMK 2010, S. 9 f und KMK 2011, S. 6)

Auch zur Gestaltung der Übergänge wird von der KMK ein erhöhter Anspruch an die Kooperation der Beteiligten gestellt, die auch in Rhein-land-Pfalz durch die entsprechende Konzeptentwicklung sicher zu stellen ist. „Wechsel in der Bildungsbiografie von der frühkindlichen Bildung zur schulischen Bildung, von einer Schulform, Schule, Schulstufe oder Schulklasse zu einer anderen oder in den berufsbildenden Bereich sowie beim Übergang in die Arbeitswelt stellen für alle Beteiligten eine Chance und zugleich eine Herausforderung dar. Für das Gelingen von Übergängen sind persönliche Kompetenzen und unterstützende Konzepte zu entwickeln. Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und ihren Eltern wird bei der Entscheidung über den Fortgang der vorschulischen, schulischen und beruflichen Bildung Beratung angeboten. Häufig bedarf der Übergang unterstützender und begleitender Maßnahmen.“ (KMK 2011, S. 12 f)

Dies schließt mit ein, dass die aufnehmenden Einrichtungen rechtzeitig und umfassend vorbereitet werden: „Die Verstetigung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen und mit den Eltern erfordert eine rechtzeitige Kontaktaufnahme zwischen der abgebenden und der aufnehmenden Einrichtung mit dem Ziel der Vorbereitung von Kind, Eltern und anderen Beteiligten auf den Übergang“ (KMK 2011, S. 13). Neu festzulegende Kooperationsformen der jeweils dafür zuständigen Ministerien werden, um diesen erweiterten Auftrag zu erfüllen, notwendig werden.

Auch die berufsbildenden Schulen sind mit einzubeziehen: „Berufsbildende Schulen eröffnen Möglichkeiten der Teilhabe an Beschäftigung. Alle Beteiligten der beruflichen Integration müssen sich mit ihren Angeboten den Schwankungen des Arbeitsmarkts stellen, denen Jugendliche mit Behinderungen in einem besonderen Maße ausgesetzt sind. Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sollen daher alle an dem Übergangsprozess Beteiligten für Jugendliche mit Behinderungen Formen der Teilhabe an der Ausbildung und am Arbeitsleben entwickeln. (…) Für die berufliche Teilhabe von Jugendlichen mit Behinderungen ist die Bildung von regionalen Netzwerken von Bedeutung. In diese Netzwerke sind die berufsbildenden Schulen, die Kammern und Innungen, die Arbeitsverwaltung, die Jugend- und Sozialhilfe und die nach Land und Kommune unterschiedlichen Ämter, Leistungs- und Kostenträger und gegebenenfalls weitere Beteiligte einzubeziehen.“ (KMK 2011, S. 18)

Die frühe Förderung ist gleichermaßen konzeptionell verstärkt einzubinden: „Bildungsprozesse nehmen weit vor der Schule ihren Anfang. Dem vorschulischen Bereich ist unter den Gesichtspunkten der Prävention und frühzeitigen Intervention mit Hilfe qualifizierten Personals verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Konzepte einer umfassenden frühen Förderung in allen Entwicklungsbereichen werden in Kooperation mit den hierfür zuständigen Trägern weiterentwickelt.“ (KMK 2011, S. 5)

Die rheinland-pfälzischen Schwerpunktschulen sind so auszustatten und vorzubereiten, dass sie den Auftrag der inklusiven Bildung und Erziehung umsetzen können. Ressourcen, Rahmenbedingungen und Indikatoren für hochwertigen Unterricht und Erziehung sind sicher zu stellen. „Das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in der allgemeinen Schule erfordert personelle, sächliche und räumliche Grundlagen. Schritte zur Sicherung dieser Voraussetzungen sind von den Ländern und den Kommunen einzuleiten. Das allgemeine Bildungssystem ist aufgefordert, sich auf die Ausweitung seiner Aufgabenstellungen im Sinne einer inklusiven Bildung und Erziehung vorzubereiten. Dies erfolgt im engen Zusammenwirken mit den unterschiedlichen Kosten- und Leistungsträgern. Insbesondere sind die Träger von Eingliederungshilfen nach dem Sozialgesetzbuch entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten, Kompetenzen und Aufgaben frühzeitig einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für Sicherstellung der Barrierefreiheit, Sicherstellung der Schülerbeförderung, Ausstattung mit vielfältigen Lehr- und Lernmitteln, Gewährleisten von Nachteilsausgleich, Assistenz und an-gemessener Kommunikationsmöglichkeiten sowie das Einbeziehen anderer Fachdienste. Eine abgestimmte Regionalplanung und gemeinsame Umsetzungs-konzepte der verschiedenen Kostenträger und sonstigen Beteiligten sind für diesen Prozess erforderlich.“ (KMK 2010, S. 9 f)

Hierbei ist die sonderpädagogische Unterstützung abzusichern und weiterzuentwickeln: „Das Subsidiaritätsprinzip der Sonderpädagogik und ein Verständnis von sonderpädagogischer Förderung, die dem einzelnen Kind bzw. dem einzelnen Jugendlichen verpflichtet ist, haben zu einer Vielfalt von Förderorten und Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung geführt. Die qualitative und quantitative Ausweitung der inklusiven Bildungsangebote ist ein Schwerpunkt sonderpädagogischen Handelns und aller an diesem Prozess Beteiligten.“ (KMK 2011, S. 2) „Das Ziel dieser Empfehlungen ist, die gemeinsame Bildung und Erziehung für Kinder und Jugendliche zu verwirklichen und die erreichten Standards sonderpädagogischer Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote im Interesse der Kinder und Jugendlichen abzusichern und weiterzuentwickeln. Hieraus sind Impulse für die Entwicklung inklusiver Bildungsangebote abzuleiten.“ (KMK 2011, S. 3) Die dazu notwendigen personellen und zeitlichen Ressourcen sind deshalb dringend zu gewährleisten.

Das erforderliche Zusammenwirken der Lehrkräfte in den Schulen ist insbesondere durch Fortbildungsmaßnahmen zu sichern. „Für die Verwirklichung inklusiver Bildung ist das Zusammenwirken der allgemeinen Pädagogik mit der Sonderpädagogik unabdingbar. Sie gestalten miteinander unter Berücksichtigung der jeweiligen berufsspezifischen Kompetenzen diesen gemeinsamen Lernraum. Die Lehrkräfte aller Schularten sollen in den verschiedenen Ausbildungsphasen für den gemeinsamen Unterricht aller Schülerinnen und Schüler vorbereitet und fortgebildet werden, um die erforderlichen Kompetenzen zum Umgang mit unterschiedlichsten Ausprägungen von Heterogenität zu erwerben.“ (KMK 2010, S. 5) Das Arbeiten in multiprofessionellen Teams setzt zeitliche Ressourcen voraus.

Auch wirksame präventive Maßnahmen sind konzeptionell und personell mit einzuplanen: „Präventive Maßnahmen sollen dem Entstehen einer Behinderung oder weiterer Auswirkungen einer bestehenden Behinderung entgegenwirken. Diese Prävention ist Aufgabe aller Schulen. Schulische Bildung kann deshalb im Einzelfall vorbeugende personelle, pädagogische oder räumlich-sächliche Zuwendungen erfordern. Diese Maßnahmen sollen rechtzeitig einsetzen. Eine wirksame Prävention setzt eine intensive Zusammenarbeit der verschiedenen Beteiligten, einschließlich der Leistungs- und Kostenträger voraus.“ (KMK 2011, S. 14)

Diese Vielzahl wesentlicher Anforderungen an eine qualitativ gute inklusi-ve Bildung macht es aus Sicht der GEW dringend erforderlich, dass das Bildungsministerium zeitnah ein umfängliches und differenziertes Grundkonzept entwickelt, damit alle Beteiligten die Ziele, Inhalte und Grundlagen des Entwicklungsprozesses kennen, um dadurch Handlungsorientierung für schulische Entwicklungsprozesse, regionale Kooperationen und Vernetzungen sowie regionale Schulentwicklungsplanungen zu erhalten.

Inklusive Bildung in Rheinland-Pfalz braucht Orientierung, Verlässlichkeit und Ressourcen!


Sylvia Sund, stellv. GEW-Vorsitzende

Dieses Papier wurde auch der Bildungsminsierin Doris Ahnen zugesandt.