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Gute Schule braucht ganzheitliches Gesundheitsmanagement

„Ganzheitliches Gesundheitsmanagement ist ein Kriterium für gute Schule“. So beginnt die Resolution, die anlässlich einer GEW-Fachtagung über Arbeits- und Gesundheitsschutz im Erbacher Hof in Mainz von 120 TeilnehmerInnen verabschiedet worden ist. Organisiert wurde die Tagung von der AG Arbeit + Gesundheit der GEW unter Leitung von Ulrike Brandt und Dieter Ross.

Leider fehlten Vertreter von der Schulaufsichtsbehörde, vom Ministerium und auch vom „Institut für Lehrergesundheit“ (IfL). Klaus-Peter Hammer, der rheinlandpfälzische GEW-Vorsitzende, forderte bei seiner Begrüßung deutliche Verbesserungen beim Gesundheitsschutz an Schulen. Es gebe beispielsweise Probleme bei der Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen, und im psychosozialen Bereich würden dringend ausgebildete ModeratorInnen, Coaches und SupervisorInnen benötigt.

Warum brauchen wir Gesundheitsförderung?
Wie es in Baden-Württemberg mit dem schulischen Gesundheitsschutz aussieht, berichtete Barbara Haas von der GEW im Nachbarland: „Gesundheitsförderung für Lehrkräfte – eine gemeinsame Aufgabe von Arbeitgeber und Beschäftigten“.

Die Lehrerbelastungsforschung belege, so Haas, dass die Fülle der Anforderungen, anspruchsvolle SchülerInnen, Erfahrungen von Kontrolle, eine geringe Kooperation und Unterstützung sowie dauerhaft lehrerzentrierter Unterricht krank machten – Frauen und Männer in gleicher Weise. Die Gefährdungserhebung 2008-2011 in Baden-Württemberg nennt weitere Belastungen für die Gesundheit:

die emotionalen Anforderungen, die oft laute Stimme und Störungen im Unterricht sowie der Work-Privacy-Conflict (Konflikte mit der Vereinbarkeit des Berufs mit dem Privatleben). Rund 30 Prozent der Lehrkräfte gingen krank zur Arbeit, eine erhöhte Burnoutgefährdung zeichne sich ab, die gekennzeichnet sei durch hohe Resignationstendenzen und geringe Distanzierungsfähigkeit. In Baden-Württemberg gehen 63 Prozent der Lehrkräfte auf Antrag in den Ruhestand, 28 Prozent mit der gesetzlichen Altersgrenze, und 9 Prozent scheiden früher aus wegen Dienstunfähigkeit. Der frühere Ausstieg muss selbst finanziert werden. Eine frühzeitige Gesundheitsprävention für die jüngeren Arbeitsgruppen gebe es erst seit 2011, „die Beihilfestellen sind reine Verwaltungsinstitutionen“ meinte Haas.

Was hält gesund, was kann ich für mich tun
Die Schaffung einer guten Arbeitsatmosphäre, Kollegialität und gegenseitige Hilfe, die Bereinigung von schwelenden Konflikten, eine offene Kommunikation stabilisierten Gesundheit. Dazu kämen eine gesunde Lebensführung sowie ausreichend Schlaf und Entspannungsphasen. Sehr wichtig, so Haas, sei eine stabile Partnerschaft. Formen des Unterrichts, die ein hohes Maß an sozialer Gestaltung und emotionaler Sensibilität verlangen und offene Situationen zulassen können, verringerten die Schulbelastung.

Was können wir „von oben“ verlangen?
Verantwortlich für die Gesundheit seien das Land und die Schulverwaltungsbehörden, sagte Haas. Sie nannte das betriebliche Gesundheitsmanagement, überbetriebliche Maßnahmen und auch die Schulleitungen als Arbeitgeber. Die Beschäftigten hätten allerdings die Pflicht, den Arbeitgeber bei der Gesundheitsvorsorge zu unterstützen, aber auch Gefahren aufzuzeigen und für ihre eigene Gesundheit Sorge zu tragen. Gefragt seien auch die Personalvertreter und die GEW als Interessenvertretung, „welche die politische Umsetzung vorantreibt“.

Was beinhaltet die Gesundheitsförderung?
Haas nannte Unterstützungsangebote für die Schulen vor und nach der Gefährdungsbeurteilung, z.B. Fortbildung der SchulleiterInnen, Dienstbesprechungen, Gesundheitstage, Fortbildungsangebote für Teams innerhalb der Schulentwicklung, Fragebögen, auch online-Fragebogen zur personenbezogenen Gefährdungserhebung mit Berichten aus den einzelnen Schulen mit landesweiter Auswertung.

Die Erfahrungen aus Baden-Württemberg: Maßnahmen in der Kultusverwaltung führen in der Regel nicht dazu, dass die Verantwortlichkeiten für die Gesundheit vor Ort wahrgenommen werden. Die Schulen hätten zu wenig Know how, wie sie mit den Ergebnissen ihrer Gefährdungserhebung umgehen können. Die Schulen seien auch sehr zurückhaltend mit der Einbeziehung externer Unterstützung. Haas: „Gesundheitsförderung wird nicht als Schulentwicklungsaufgabe verstanden“. Da Arbeits- und Gesundheitsschutz eine Daueraufgabe seien, wurde seit 2011 die 2. Runde der Gefährdungsbeurteilung in Baden-Württemberg geplant, auch der Online-Fragebogen zu psychosozialen Faktoren am Arbeitsplatz Schule sowie die Überarbeitung des Unterstützungsangebots vor und nach der Erhebung.

Die 2. Runde der Erhebung begann im Dezember 2014 in acht Tranchen jeweils schulamtsweit in Baden-Württemberg. Begleitet wird die Erhebung von speziellen Programmen, z.B. „Begleitung in der Berufseingangsphase – Erfolgreich, gesund starten in den Lehrberuf“, ein Angebot für Lehrkräfte im 2.-4. Berufsjahr an sechs Tagen (drei davon in der unterrichtsfreien Zeit) oder „10plus. Motiviert und gesund bleiben im Lehrberuf“. Hier wird systematisch an Belastungen im Unterricht als Schutz gegen Burnout für Lehrkräfte ab dem 10. Berufsjahr in Tandems gearbeitet oder „Ressource-Ich – Der Umgang mit sich selbst und anderen im Schulbetrieb“, ein zweieinhalbtägiger Lehrgang in der Landesakademie oder „Lehrergesundheit als Führungsaufgabe – Zufrieden und gesund arbeiten“, fünf Bausteine über ein ganzes Jahr mit regionalen Treffen, Coaching-Gruppen oder Angebote der BAD (Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH): Vorträge und Workshops zur Entspannung, Konfliktmediation, Ernährung, Resilienz, Stimmtraining usw. Schließlich sollen auch Gesundheitstage an Schulen oder in Schulämtern stattfinden.

Das Fazit von Barbara Haas für eine gemeinsame Gesundheitsförderung: Alle Maßnahmen seien daraufhin zu untersuchen, wie zusätzliche Belastungen vermieden werden können. Schulen bräuchten ein Verfahrensangebot, das ihnen ermöglicht, eine Gefährdungsbeurteilung nachhaltig durchzuführen, dazu bräuchten die Schulen gezielte Unterstützungen. Präventionsangebote müssten auf der Basis der Auswertungsergebnisse weiter entwickelt werden, das Gesundheitsmanagement sei regelmäßig auf seine Wirksamkeit zu überprüfen.

Im Blick: Die Gefährdungsbeurteilung
Wie kann nun ein betriebliches Gesundheitsmanagement aussehen? Über diese „Grundvoraussetzung für zukunftsfähige Arbeitsbedingungen“ sprach Melanie Sandmann von der TBS gmbH in Mainz. Das Erwerbspersonenpotenzial werde weniger und deutlich älter, die Beschäftigten müssten auch länger in den Betrieben bleiben als früher. Deshalb sei der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Aufwind, damit die Beschäftigten die wachsenden Herausforderungen in den Betrieben bewältigten. Das Arbeitsschutzrecht bilde den Rahmen für diese Entwicklung. Sandmann nannte die Elemente für ein betriebliches Gesundheitsmanagement: Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung, Beratungsangebote, Arbeitsmedizin, Führung, Mitarbeiterbeteiligung, Arbeitsgestaltung sowie Weiterbildung und Qualifizierung.
Ein zentrales Element im Arbeitsschutz sei die „Gefährdungsbeurteilung“. Der Ablauf einer Gefährdungsbeurteilung könne so aussehen: Überblick, Beurteilungseinheiten und Methoden festlegen, Gefährdungen erfassen, Gefährdungen bewerten, Gegenmaßnahmen treffen und Dokumentation sowie regelmäßige Überprüfung. Wie können Maßnahmen im Betrieb aussehen? Bei rutschigen Böden: rutschfeste Unterlagen, regelmäßige und gründliche Reinigung sicherstellen, geeignete Schuhe. Bei Lärm: emissionsärmeres Werkzeug, Lärmquelle einkapseln, Gehörschutz, Vorsorgeuntersuchungen Bei Gefahrstoffen: Beseitigung der Gefahrenquelle durch Ersatz des Gefahrstoffes, Exposition begrenzen, Einrichtung einer effektiven Be- und Entlüftung, persönliche Schutzausrüstung.

Die von der Sozial-Soziologin Melanie Sandmann vorgelegten Methoden der Gefährdungsbeurteilung können auch auf Schule und Unterricht übertragen werden. Freilich sehen sie dort anders aus, aber eine systematische und nachhaltige Gefährdungserhebung und daraus abgeleitete Maßnahmen würden den Lehrerinnen und Lehrern sehr helfen.

Was belastet mich/uns in der Schule?
In einer Befragung der TeilnehmerInnen der GEW-Fachtagung wurden die Belastungen der Lehrkräfte in Schule und Unterricht erhoben. Hier die Belastungen mit den meisten Nennungen:

  • Auf die Aufgabe der Integration/ Inklusion fühle ich mich nicht genug vorbereitet. Gute Fortbildungen fehlen.
  • Ich vermisse eine langfristige Planung, Transparenz, Verlässlichkeit und Wertschätzung.
  • Mich belastet zunehmend der hohe Lärmpegel, der im Schulgebäude und in den Pausen herrscht.
  • Vertretungskräfte fehlen, um den Unterricht der erkrankten KollegInnen aufzufangen.
  • Die langen Konferenzen und Dienstbesprechungen nerven mich immer wieder.
  • Viele Konferenzen sind langatmig, schlecht vorbereitet, wenig effektiv und kein Ende ist abzusehen. Das belastet mich und auch andere KollegInnen.
  • Mit 60 noch mit voller Unterrichtsverpflichtung vor den Klassen. Altersgerechtes Arbeiten in der Schule vermisse ich.
  • Ich habe kaum Zeit, um mich um die Schüler zu kümmern, die im Unterricht kaum mitmachen.
  • Die Unterrichtsräume werden nur alle zwei Tage „mehr oder weniger“ geputzt. Eine Grundreinigung findet überhaupt nicht statt. Und wenn man sich beschwert, heißt es: „Dann putz doch selbst!“