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GEW kritisiert SGB VIII Reform als "Pseudoreform"

Ende Juni hat der Bundestag das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz beschlossen. Große Änderungen zum von der Fachwelt und den Gewerkschaften massiv kritisierten Entwurf gab es nicht mehr, denn das Ministerium hatte vorab alle strittigen Punkte aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Die GEW will weiter für eine inklusive SGB VIII Reform kämpfen und kritisiert die zunehmende Ökonomisierung Kinder- und Jugendhilfe. Sie bemängelt zudem fehlenden politischen Willen bei den Reformdiskussionen.

Rheinland-pfälzische Delegation auf dem Jugendhilfekongress der GEW in Berlin

Durch den Beschluss des Bundestages wurde die sowieso schon „kleine Lösung“ nochmal kleiner als ursprünglich gedacht. Begrüßenswert sind aber die Änderungen zur Beratung und zur Ombudschaft. Nach dem Gesetz haben Kinder- und Jugendliche nun einen umfänglichen Anspruch auf weisungsunabhängige Beratung. Geblieben sind auch die Änderungen bei der Betriebserlaubnis und die Regelungen zur Einbeziehung von Hilfeplänen bei familiengerichtlichen Verfahren.  

Aufs Schärfste zu kritisieren ist der neue § 78f, mit welchem die Länder Rahmenvereinbarungen bei der Betreuung von minderjährigen Geflüchteten einfordern können. „Dies darf keinesfalls zu einer Zwei-Klassen-Jugendhilfe führen“, so Björn Köhler vom GEW-Hauptvorstand. „Alle Kinder haben das Recht, angemessen gefördert und begleitet zu werden, das sieht auch die UN-Kinderrechtskonvention vor!“  

Auch die hervorgehobene Beteiligung von Ärzten und medizinischem Personal bei der Gefährdungsbeurteilung ist unverständlich. Häufig haben Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen einen erheblich besseren Einblick in die Familienstrukturen als Ärzte, die ihre Patienten oft nur kurz sehen.  

Entfallen sind im Wesentlichen die geplanten Regelungen im Hinblick auf das Pflegekinderwesen. Lediglich die Schließung der Gesetzeslücke im Hinblick auf Pflegekinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, und weitergehende Änderungen im Hinblick auf Hilfeplanung und Finanzierung, sind verblieben.  

„Ich begrüße, dass die Ministerin die massive Kritik aus den Verbänden und der Fachpolitik endlich ernstgenommen hat!“ wird Köhler deutlich. „Trotzdem brauchen wir nach wie vor eine umfassende Überarbeitung des SGB VIII. Wir hoffen sehr, dass die neue Bundesregierung das Thema unmittelbar nach der Wahl wieder aufgreift und gemeinsam mit den Fachleuten aus der Praxis eine echte und inklusive Reform einleitet!“  

Die Fachgruppe „Sozialpädagogische Berufe“ der GEW Rheinland-Pfalz setzt sich deshalb weiterhin ein für:  

  • Eine Ausweitung individueller Rechtsansprüche (z. B. Ganztagsplatz in Kita und Hort).  
  • Eine Verankerung der schulbezogenen Kinder- und Jugendhilfe in das SGB VIII.  
  • Die Beibehaltung der individuellen Rechtsansprüche auf Hilfen zur Erziehung.  
  • Stärkung und Konkretisierung der Familienleistungen im SGB VIII.  
  • Weiterhin Unterstützung unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge im System der Kinder- und Jugendhilfe auch über das 18. Lebensjahr hinaus.  
  • Aufnahme einer Regelung zum bundeseinheitlichen Stand der Kita-Strukturqualität nach §§ 22 - 24 und eine tariftreue Regelung bei der Vergabe von Leistungen an Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe.  
  • Keine Verknüpfung der Reform mit sachfremden Zielsetzungen.  
  • Die Vorgabe der Kostenneutralität muss aufgegeben und die notwendigen finanziellen Mittel zur Finanzierung der Reform zugesichert und auch bereitgestellt werden, um den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe die Zusammenführung und die Ausgestaltung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe zu ermöglichen.

    Am 7. Juli soll der Bundesrat der Gesetzesänderung zustimmen.

    Update:
    Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ist von der Tagesordnung des Bundesrates abgesetzt worden. Damit kann der Gesetzentwurf im Bundesrat erst am 22. September beraten werden, also zwei Tage vor der Bundestagswahl.Weitere Informationen in Kürze!!!

    Die Stellungnahmen der einzelnen Fachverbände kann man hier nachlesen kijup-sgbviii-reform.de/2016/07/28/themenuebergreifende-stellungnahmen/    

    Zur Entwicklung der zurückliegenden Monate 
    Nach dem Referentenentwurf wurde der offizielle Gesetzentwurf des BMFSFJ Ende April vorgestellt, der in der Fachwelt keine Zustimmung fand und uns als GEW zu einem Dringlichkeitsantrag am Gewerkschaftstag Anfang Mai veranlasst hat. Die große, inklusive Lösung war da bereits für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch. Was übrig blieb, war ein fast leerer Torso, der den Namen „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz“ kaum noch verdient. Im Entwurf fanden sich noch die Stärkung von Pflegeeltern und ein Recht des jungen Menschen auf Beratung. Negativ fielen vor allem die geplanten Regelungen zum „Kinderschutz“ auf, die ein bürokratisches Monster zu werden drohten und die Möglichkeit der Differenzierung zwischen deutschen Kindern und minderjährigen Geflüchteten bei den Leistungen ermöglichen (die wir als GEW übrigens als Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention sehen!).

    Auch im Bundesrat wurde der Gesetzentwurf diskutiert und kommentiert. Es wurde deutlich, dass die Länder auch mit der entkernten, kleinen Lösung ihre Probleme haben. Dankbarerweise wurde der o.g. Punkt mit der möglichen Diskriminierung von den Ländern abgemildert.   Fachverbände kritisieren Reform.

    Am 12.06. fand zu obigen Stand eine Anhörung mit Debatte der Linksfraktion im Bundestag statt, an welcher unser Vorsitzender des Vorstandsbereiches "Kinder & Jugendhilfe", Björn Köhler, teilgenommen hat. Kritisiert wurde allgemein der Umgang des Ministeriums mit den Trägern und Verbänden, deren fachlichen Anregungen lediglich dazu geführt haben, dass alle wichtigen Themen von der „Reform“ ausgenommen wurden. Das Ministerium wiederrum habe den Prozess als transparent gesehen und sei teilweise überrascht von der heftigen Kritik.

    Einigkeit bestand bei allen Fachleuten darin, dass diese SGB VIII-Reform in dieser Form verhindert werden muss. Am 19.06. fand die offizielle Anhörung im Familienausschuss des Bundestages statt. Die Anhörung ging für das Ministerium schlecht aus: 80% der Sachverständigen waren der Meinung, dass die Reform so nicht kommen darf! Auch viele Fachpolitiker aus den Fraktionen (inklusive der CDU!) vertreten diese Haltung.

    Die Ergebnisse der Anhörung findet ihr unter: www.bundestag.de/presse/hib/2017_06/-/511050 www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw25-pa-familie-jugendliche/510260

    Leider war die „Reform“  in dieser Form damit immer noch nicht vom Tisch: Die Länder wollten gerne finanziell entlastet werden und auch die Fraktionsausschüsse haben noch eine Rolle gespielt. Dabei stand die Frage im Raum, ob man auf dem Koalitionsvertrag besteht, der eine Reform vorsieht, um mit einem „Erfolg“ aus der gemeinsamen Regierung zu gehen. Auch der Wechsel im BMFSFJ machte die Sache nicht einfacher: Ministerin Barley wollte offenbar gerne als „Macherin“ wahrgenommen werden, die aktiv in den Wahlkampf einsteigt.   

    gez. Kathrin Gröning, Christine Münch und Alessandro Novellino (Landesfachgruppe Sozialpädagogische Berufe); gez. Erni Schaaf-Peitz (Vorstandsbereich Jugendhilfe und Sozialarbeit)