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Ausbildung in Handwerk und Pflege – Warum bestimmte Berufsfelder bei der Ausbildungsplatzwahl gemieden werden

Bedingt durch die demografische Entwicklung und den Trend zur Höherqualifizierung ist die Zahl der nichtstudienberechtigten Schulabgänger/innen in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Bis 2025 wird sich ihre Zahl weiter deutlich verringern. Die Folgen sind bereits jetzt spürbar: Betriebe haben zunehmend Probleme, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen und es entstehen Fachkräfteengpässe auf der mittleren Qualifikationsebene.

Zwei Berufsfelder, in denen sich der Nachwuchskräftemangel besonders deutlich abzeichnet, sind das Handwerk und die Pflege. Das Forum greift deshalb die Fragen auf, wie Jugendliche über diese Berufszweige denken, was sie von der Wahl eines Ausbildungsplatzes im Handwerk und der Pflege abhält und welche berufsbildungspolitischen Implikationen sich hieraus ableiten lassen.

In dem Forum stellten Till Mischler (Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz, Referat „Berufliche Bildung, Chancengleichheit, Fachkräfte“) und Stephanie Matthes (Bundesinstitut für Berufsbildung, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Berufsbildungsangebot und –nachfrage/Bildungsbeteiligung“) die Ergebnisse ihrer Studien im Handwerk und in der Pflege dar.

Der demografische Wandel mit einem prognostizierten Rückgang der Zahl der Schul-absolventen um bis zu 30% bis zum Jahre 2025 sowie der Trend zur Aufnahme eines Studiums statt einer Ausbildung gefährden die Fachkräftesicherung im Bereich der   Handwerks- und Pflegeberufe. Der Trend zum Gymnasium und zur Universität ist ungebrochen und führt zu einem Arbeitskräfteengpass in einigen Berufsbereichen. So hat sich auch zuletzt der Wissenschaftsrat für eine Aufwertung der beruflichen Bildung im Verhältnis zur akademischen Bildung ausgesprochen.

Die Studien greifen vielfältige  Einflüsse bei der Berufswahl junger Menschen auf:  Hier spielen u.a. die Berufs- und Studienorientierung, schulische Einflüsse, der regionale Arbeitsmarkt, Eltern, Peers, Lehrer/innen, das Selbstkonzept der Jugendlichen (berufliche Interessen und Zielvorstellungen), die Attraktivität des dualen Systems, die Perspektiven nach der Ausbildung wie auch die Durchlässigkeit und die gesellschaftliche Wertschätzung eine tragende Rolle.

In der von Till Mischler erhobenen Studie, bei der Schüler/innen allgemeinbildender und berufsbildender Schulen in Rheinland-Pfalz befragt wurden, zeigte sich, dass Jugendliche mit Handwerker/innen im Bekanntenkreis und Jugendliche, die Weiterbildungsperspektiven mit dem Handwerk verbinden, ein gesteigertes Interesse am Handwerk besitzen. Jugendliche mit Migrationshintergrund weisen ein geringeres Interesse am Handwerk auf und kennen auch durchschnittlich weniger Berufe als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.  Insgesamt ist die Kenntnis der Befragten über die Vielfalt der handwerklichen Berufe sehr begrenzt.  Zudem zeigt sich, dass mit einem höheren anvisierten Schulabschluss  das Interesse am Handwerk sinkt.

Die Erhebungsergebnisse belegen auch, wie wichtig die Berufsorientierung ist, denn die Ausbildung im Handwerk wurde dort eher als attraktiv bewertet, wo mehr BO-Maßnahmen genutzt wurden. Zugleich wurde deutlich, dass in Gymnasien Berufsorientierung bislang eine geringe Rolle spielt. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen zudem, dass Handwerk mitunter noch sehr klischeebehaftet ist und die Veränderung in den Berufsbildern den Jugendlichen kaum bekannt ist. Nach wie vor bestimmen die Bildungserwartungen der Eltern in hohem Maße die geplanten Bildungswege ihrer Kinder. Haben Eltern höhere Bildungsabschlüsse,  so werden durchschnittlich weniger BO-Maßnahmen in Anspruch genommen, wodurch  soziale Reproduktion begünstigt wird.

Auch die Studie von Stephanie Matthes, welche sich auf die Befragung von Schüler/innen der 9. und 10. Klasse allgemeinbildender Schulen in Nordrhein-Westfalen stützt und sich der Fragestellung widmet, unter welchen Bedingungen Pflegeberufe bei der beruflichen Orientierung von Jugendlichen außer Acht gelassen werden, liefert interessante Forschungsergebnisse. Hier zeigt sich, dass das Interesse an Pflegeberufen umso geringer ist, je höher der angestrebte Schulabschluss ist und auch vom Geschlecht determiniert wird. Nach klassischen Berufswahltheorien wählen Jugendliche Berufe danach aus, dass sie zu ihren Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen passen. Je größer die Passung, desto größer die Neigung, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Mangelndes Interesse an Pflegeberufen lässt sich teilweise dadurch erklären, dass die beruflichen Selbstkonzepte der Jugendlichen nicht zu den Berufskonzepten passen, die sie von Pflegeberufen haben.

Die Passung ist allerdings nur ein Teil der Erklärung, denn Berufe sind Visitenkarten: „In der Wahrnehmung durch andere […] wird im Beruf ein Indikator dafür gesehen, ‚wer die Person ist‘. Der Beruf wird dann zum Filter, durch den hindurch eine Person wahrgenommen, beurteilt und taxiert wird.“* Jugendliche, die keine positiven Reaktionen ihres sozialen Umfelds auf die Wahl eines Pflegeberufes erwarten, ziehen eine solche Wahl fast nie in Betracht. Auch Stereotype spielen bei der Beurteilung des Images von Pflegeberufen eine wichtige Rolle.

Um die Potentiale zur Nachwuchsgewinnung im Handwerk und der Pflege zu erschließen, müssen die Eltern in den Berufsorientierungsprozess mit einbezogen werden und die Berufsorientierung muss – vor allem auch an Gymnasien – ausgebaut werden. Durch Praktika sollen Schüler/innen mit den Berufen vertraut gemacht werden. Aber auch in den Schulen sind menschliche „Selbstdarstellungsbedürfnisse“ zu thematisieren und die Notwendigkeit einer geschlechts- und statusadäquaten Berufswahl ist offen zu diskutieren. Nur so kann es gelingen, dass die Wahrnehmung der Berufe in der Öffentlichkeit („Handwerksberufe sind nur was für Jungen und Pflegeberufe sind nur was für Mädchen!“) sich verändert. Voraussetzung für diesen Imagewandel ist aber auch, dass es attraktive Arbeitsbedingungen gibt.


*GILDEMEISTER, R.; ROBERT, G. (1987): Probleme beruflicher Identität in professionalisierten Berufen. In: Frey, H.-P.; Haußer, K. (Hrsg.): Identität. Stuttgart: Enke. S. 71-87.